Wo steht Swisspower heute, 20 Jahre nach der Gründung?
Ronny Kaufmann: Wir sind als strategische Allianz in einer Poleposition für die Zukunft. Denn unser Aktionariat mit Multi-Energy-Stadtwerken macht uns einzigartig. In der Schweizer Energiebranche gibt es keine vergleichbare Organisation, weder punkto Stärke des Brands noch des Aktionariats. Die Transformation der Energiebranche wirkt auf unser Geschäftsmodell wie ein Turbolader. Die Liberalisierungsbestrebungen des Bundesrats für den Strom- und Gasmarkt, die sich beschleunigende Digitalisierung sämtlicher Bereiche unserer Gesellschaft, die Notwendigkeit, die Ertragsrückgänge im Kerngeschäft mit neuen Angeboten und Dienstleistungen zumindest teilweise zu kompensieren sowie der steigende Kostendruck werden dazu führen, dass wir in der Swisspower-Allianz noch näher zusammenrücken. In einer komplexer werdenden Energiewelt sind jene Unternehmen erfolgreich, die gemeinsam mit anderen Organisationen Synergien nutzen. Durch unsere Angebote schaffen wir solche Synergien und verbessern die Wettbewerbsposition unserer Aktionäre.
2011 ging die erste Stadtwerke-Kooperation an den Start: Swisspower Renewables. Inzwischen gibt es weitere Swisspower-Kooperationen. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfolge – und welches die grössten Stolpersteine für Stadtwerke-Kooperationen?
Swisspower Renewables hat sich hervorragend entwickelt. Der Erfolg dieser Kooperation zeigt sich auch daran, dass 2017 ein namhafter Finanzinvestor als Aktionär eingestiegen ist. Eine weitere Erfolgsgeschichte schreiben wir zurzeit mit der Kooperation Swisspower Cybersecurity. Wir haben sie lanciert, um in den Betrieben unserer Aktionäre die Risiken zu vermindern, welche die Digitalisierung nebst allen Chancen mit sich bringt. Dass wir damit auf grosses Interesse stossen, liegt auf der Hand: Die Abwehr von Cyberattacken gehört nicht zum Kerngeschäft der Stadtwerke und ist eine neuartige Herausforderung. Mit solchen komplementären Kooperationen haben wir Erfolg. Damit ist gleichzeitig ein Stolperstein genannt. Bisher haben wir es noch nicht geschafft, eine Kooperation zu realisieren, die das Kerngeschäft der Stadtwerke betrifft und beispielsweise auf der Kostenseite ansetzt.
Woran denken Sie?
Ich denke etwa an gemeinsame Backbone-Lösungen für Informatiksysteme oder an eine gemeinsame Beschaffungsorganisation für Fahrzeuge oder Material. Hier besteht ein grosses Potenzial, durch Kooperationen die Kosten zu senken. Die einzelnen Stadtwerke fokussieren aber noch zu stark auf individuelle Lösungen. Objektiv betrachtet bestehen unzählige Gemeinsamkeiten – auch bei den Kernprozessen.
Die Schweizer Energiebranche steckt mitten in einem Transformationsprozess. Wie erleben Sie die Innovationskraft der Stadtwerke?
Ich spreche wohl auch im Namen der Stadtwerke, wenn ich sage: Die Innovationskraft ist noch nicht da, wo sie sein könnte. Zwar ist die Erkenntnis vorhanden, dass die Stadtwerke innovativer werden müssen und der Status quo nicht reicht, um erfolgreich zu bleiben. Deshalb haben wir auch die Kooperation Swisspower Innovation lanciert, die sich gut entwickelt. Dieser Erkenntnis muss nun ein nächster Schritt folgen: Die Stadtwerke sollten ihre Bereitschaft erhöhen, Risiken einzugehen.
Was verstehen Sie darunter?
Bei einigen Business Cases ist offensichtlich: In diese sollten Energieversorger heute investieren, weil es dieses Angebot oder diese Technologie in Zukunft brauchen wird. Aber man kann noch nicht abschätzen, ab wann sich damit Gewinne erzielen lassen – und wie grosse. Darin besteht das Risiko. Die Governance-Strukturen der Stadtwerke führen dazu, dass sie nur geringe Risiken eingehen und eher «Unterlasser» als mutige Unternehmer sind. Ein Beispiel: Der Preis für Biogas wird wegen der hohen Nachfrage mit grosser Wahrscheinlichkeit steigen. Unternehmerisch gedacht, müsste man nun in eigene Biogasanlagen investieren und das Risiko für unveränderte oder sogar fallende Marktpreise in Kauf nehmen. Doch viele Gasversorger sehen den Biogaspreis als externe Variable. Einen höheren Preis reichen sie einfach an ihre Kunden weiter. Sie ergreifen die Chance nicht, unabhängiger zu werden von der Marktpreisentwicklung und künftig mit ihrem selbstproduzierten Biogas eine stärkere Marktposition aufzubauen.
Über solche Investitionen können die meisten Stadtwerke aber nicht allein entscheiden. Oft sind es politische Gremien, welche die Risiken scheuen.
Diesen Gremien empfehle ich: Kümmert euch mehr um den Unternehmenswert eures Stadtwerks. Er muss im Zentrum stehen, wenn es um Investitionen geht. Die Transformation der Energiebranche erfordert neue Geschäftsmodelle und neue Angebote. Deshalb kommen auf die Stadtwerke bisher ungewohnte Risiken zu und es braucht einen Risikodialog. Denn eine nicht ergriffene Chance ist für den Unternehmenswert gleich schädlich wie ein nicht vermiedenes Risiko. Meine zweite Botschaft an die politischen Gremien lautet: Risiken lassen sich durch Kooperationen diversifizieren. Das beweisen unter anderem Swisspower Renewables und die Power-to-Gas-Anlage von Limeco.
«Man kann nicht die Märkte öffnen und meinen, die Marktkräfte allein würden dann für einen genügenden Zubau erneuerbarer Energien sorgen.»
Die Zukunft der Stadtwerke hängt stark von der Energiepolitik und der Regulierung ab. Bei welchen energiepolitischen Themen bringen Sie sich in nächster Zeit besonders ein?
Dazu gehört erstens die vom Bundesrat beabsichtigte, vollständige Liberalisierung von Strommarkt und Gasmarkt. Hier lautet unsere Botschaft, dass es zwingend flankierende Massnahmen braucht für die einheimische Produktion von erneuerbarem Strom und Gas, etwa Anreiz- und Förderstrukturen. Nur so lassen sich die Ziele der Energiestrategie 2050 und des revidierten CO2-Gesetzes erreichen. Man kann nicht die Märkte öffnen und meinen, die Marktkräfte allein würden dann für einen genügenden Zubau erneuerbarer Energien sorgen. Deshalb bin ich sehr skeptisch, ob ein völlig liberalisierter Strom- und Gasmarkt hilfreich sein wird, die energie- und klimapolitischen Ziele der Schweiz zu erreichen. Ich bin gespannt wie das die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sehen werden, da ich mit einem Referendum dazu rechne. Als Zweites setzen wir uns für eine Wärmestrategie des Bundes ein, die auf die Sektorkopplung setzt, also zum Beispiel auch auf Wasserstoff. Ein dritter Schwerpunkt ist die Forderung nach einer verständlichen und umsetzbaren Regulierung im Energiebereich. Deren Komplexität überfordert heute selbst Fachleute.
Auf welche Projekte im Jahr 2021 freuen Sie sich bereits?
Ich erhoffe mir von 2021 einerseits, dass wir die Biogenisierung des Schweizer Gasnetzes einen grossen Schritt voranbringen. Wir planen dazu die Gründung einer neuen Gesellschaft. Andererseits setzen wir uns mit einer neuen Kooperation zum Ziel, im hochalpinen Raum ein Portfolio von Photovoltaikanlagen aufzubauen. Derzeit evaluieren wir konkrete Projekte im Bündnerland und im Wallis. Gleichzeitig engagieren wir uns beim Bund für neue Anreizstrukturen für Investments in die einheimische Produktion erneuerbarer Energien, gerade im Winter. Denn sie ist ein Schlüssel für die Energiewende. Last but not least hoffe ich, dass wir unsere Jubiläumsfeier wie geplant am 14. September 2021 nachholen können, um gemeinsam mit unseren Aktionären und Partnern nach vorne zu blicken. Ich bin überzeugt: Die nächsten zehn Jahre werden die wichtigsten für den Umbau des Schweizer Energiesystems, und die Zusammenarbeit innerhalb der Branche sowie darüber hinaus ist der Schlüssel zum Erfolg.