Geothermie: Wie sich das Potenzial ausschöpfen lässt

«Ohne Geothermie ist die Energiewende kaum zu schaffen», titelte kürzlich die «Süddeutsche Zeitung». Gilt das auch für die Schweiz? Und welche Rolle spielen dabei die Stadtwerke? Fragen an Nathalie Andenmatten Berthoud, Präsidentin von Geothermie-Schweiz.

Wie gross ist das Potenzial der Geothermie in der Schweiz?

Nathalie Andenmatten Berthoud: Das Potenzial dieser emissionsfreien und lokal verfügbaren Bandenergie ist sehr gross. Studien zeigen, dass die Geothermie in Zukunft wirtschaftlich mindestens 17 TWh Wärme pro Jahr für den Schweizer Gebäudepark und für Industrieprozesse liefern kann. Das entspricht einem Viertel des Schweizer Wärmebedarfs. Für die Stromproduktion schätzt das BFE das Potenzial auf 2 TWh pro Jahr. Es kann grösser ausfallen, wenn aktuelle Forschungs- und Entwicklungsprojekte für die energetische Erschliessung des tiefen Untergrunds ab zirka 3000 Meter Früchte tragen. Weniger bekannte Potenziale der Geothermie sind die saisonale Energiespeicherung im Untergrund sowie die Möglichkeit, im Sommer Kälte für die Klimatisierung zu produzieren.

Wie stark werden die verschiedenen Potenziale der Geothermie bisher genutzt?

Heute werden jährlich bereits 4 TWh geothermische Wärme produziert – überwiegend aus dem untiefen Bereich. Diese Produktion lässt sich mehr als verdoppeln. Noch fast nicht erschlossen ist das Potenzial aus mittleren Tiefen. Derzeit werden so erst 0,2 TWh pro Jahr genutzt. Das wirtschaftlich ausschöpfbare Potenzial allein aus der mitteltiefen Geothermie liegt bei rund 8 TWh pro Jahr und kann etappenweise erschlossen werden – zu konkurrenzfähigen Preisen für Betreiber sowie für Kundinnen und Kunden.

Gibt es bei der Geothermie in der Schweiz bereits erste Erfolge?

Ja. In der untiefen Geothermie ist die Schweiz weltweit führend und der Markt gut entwickelt. Im Einzelobjektbereich werden bereits viele Erdwärmesonden gekoppelt mit Wärmepumpen eingesetzt. Ein grosses Potenzial besteht bei Erdwärmesondenfeldern für grössere Überbauungen und ganze Quartiere sowie bei Geostrukturen – Strukturen im Untertagebau wie etwa Gebäudefundamente oder Tunnelbauten, in welche ergänzend zur statischen Funktion auch Teile zur Energiegewinnung und -speicherung eingebaut werden. Mit solchen Systemen lässt sich das Erdreich als Energiespeicher nutzen. Beispiele wie der Campus an der ETH Zürich, das Terminal E im Flughafen Zürich, das neue Gebäude des Innovationshub Basel Link oder die Familiengenossenschaft Friesenberg in Zürich zeugen davon.

Und wie sieht es mit Erfolgsgeschichten im Bereich der mitteltiefen hydrothermalen Geothermie aus?

In Riehen (BS) liefert seit über 25 Jahren natürlich fliessendes Warmwasser im Untergrund über einen Wärmetauscher und ein Fernwärmenetz Wärme für 8500 Personen. Das spart pro Jahr über 2 Millionen Liter Heizöl ein. In Satigny (GE) haben der Kanton Genf und SIG mit einer Erkundungsbohrung auf 750 Meter Tiefe 33 °C warmes Wasser mit einem Durchlauf von 50 l/s erschlossen. Damit könnten sich 1500 bis 2000 Haushalte beheizen lassen.

Welches sind die grössten Herausforderungen für die Nutzung der Geothermie – und wie lassen sie sich meistern?

In der Schweiz haben wir keine Tradition der unterirdischen Ressourcenexploration und -bewirtschaftung, etwa von Mineralien, Öl oder Gas her. Deshalb kennen wir im Vergleich zu anderen Ländern unseren Untergrund weniger. Damit verbunden ist die geologische Unsicherheit bei Explorationsbohrungen für die Wärmegewinnung. Dieses Risiko wird zwar vom Bund mit Förderbeiträgen von bis zu 60 Prozent gemindert. Die restlichen 40 Prozent bedeuten aber immer noch ein hohes Risiko für Gemeinden, die auf Geothermie setzen wollen. Im Falle eines ungenügenden Warmwasserreservoirs im Untergrund lassen sich diese Kosten nicht über Einnahmen decken und müssen auf die Steuerzahler überwälzt werden. Mehrere Projekte kamen deshalb nicht zustande. Eine weitere Herausforderung sind die langwierigen Bewilligungsverfahren.

«Das wirtschaftlich ausschöpfbare Potenzial allein aus der mitteltiefen Geothermie liegt bei rund 8 TWh pro Jahr.»

Was ist hier die Schwierigkeit?

Erstens verfügen die Behörden und die Projektträger wegen der noch wenigen Projekte in der Schweiz erst über eine geringe Erfahrung. Zweitens haben die Kantone unterschiedliche Gesetzgebungen zur Nutzung des Untergrunds. Und drittens betrifft Geothermie sowohl die Energiepolitik als auch die Umwelt- und Raumplanungspolitik. Somit sind verschiedene Behörden involviert, was beschleunigte Verfahren erschwert. Die Erfahrung zeigt: In Kantonen, die eine Person mit Querschnittsfunktion für die Geothermie bestimmt haben, kommt die Nutzung schneller voran.

Welche politischen Forderungen stellt Geothermie-Schweiz, damit sich die Herausforderungen lösen lassen?

Wir appellieren an den Bund, einen Risikofonds zu initiieren, um die Kosten für Bohrungen mit ungenügendem Reservoir zu decken. In Frankreich zum Beispiel wurde ein solcher Fonds geschaffen und hat Wirkung gezeigt. Weiter fordern wir die Harmonisierung der kantonalen Gesetzgebungen, die konsequente Aufnahme der Geothermie in die kantonalen Energierichtpläne, die Weiterbildung der zuständigen Personen bei den Behörden und das Bestimmen von Verantwortlichen für Geothermie quer durch die verschiedenen Stellen der Behörden.

Welche Rolle spielen die Stadtwerke dabei, das Potenzial der Geothermie auszuschöpfen?

Eine sehr wichtige Rolle. Sie bringen die Energie zu den privaten Kundinnen und Kunden sowie zu den Unternehmen. Mitteltiefe hydrothermale Geothermieanlagen liefern Wärme für mehrere Tausend Personen. Diese Energie wird über Fernwärmenetze verteilt, die in vielen Fällen von Stadtwerken betrieben werden oder an denen sie beteiligt sind. Geothermie ist für Stadtwerke somit eine nachhaltige, emissionsfreie und lokale Energiequelle für Wärme, die sie verkaufen können. Wirtschaftlichkeitsrechnungen und das Beispiel in Riehen zeigen, dass dies gewinnbringend ist, wenn das Projekt richtig dimensioniert wird. Für die Energiewende und den Ausstieg aus russischem Erdgas bietet Geothermie den Stadtwerken eine sinnvolle Option.

Was empfehlen Sie Stadtwerken, welche die Geothermie nutzen möchten?

Investieren Sie in Geothermie, es zahlt sich aus! Für erste unverbindliche Abklärungen, welcher Typ von Geothermie sich für den gegebenen Kontext eignet und wie Sie am besten vorgehen, können Sie mit Geothermie-Schweiz Kontakt aufnehmen. Wir unterstützen Sie gerne. Um mehr über Geothermie zu erfahren, empfehle ich Ihnen zudem, der Erfa-Gruppe Geothermie für Stadtwerke beizutreten.

Das Interview wurde schriftlich geführt.