Stadtwerkekongress 2022: «Die Städte sind besonders stark mit den Folgen klimaschädlicher Energieträger konfrontiert»

Welcher Weg führt in die klimaschonende Energiezukunft? Dieser Frage widmet sich der 4. Schweizerische Stadtwerkekongress, der am 1. April 2022 in Aarau stattfindet. Lokaler Gastgeber ist Hans-Kaspar Scherrer, CEO der Eniwa AG. Im Interview zeigt er auf, was das Netto-null-Ziel für die Städte und ihre Stadtwerke bedeutet.

Der Stadtwerkekongress 2022 steht unter dem Motto «Starke Städte». Was zeichnet für Sie eine starke Stadt aus?

Hans-Kaspar Scherrer: Eine starke Stadt schafft und erhält wertvolle Lebensräume, geht schonend mit Ressourcen um, schliesst Kreisläufe bei Versorgung und Entsorgung, hat umweltfreundliche Verkehrssysteme und verfügt über einen hohen Grad an Vernetzung und Zusammenarbeit.

Im Zentrum des Stadtwerkekongresses 2022 steht das Netto-null-Ziel. Warum ist Klimaneutralität gerade für die Städte wichtig?

Die Städte sind aufgrund ihrer Dichte besonders stark mit den Emissionen und Folgen klimaschädlicher Energieträger konfrontiert. Gleichzeitig haben sie gute Chancen, die fossilen Energieträger durch erneuerbare abzulösen – etwa durch Fernwärme, die Elektromobilität sowie durch Verdichtung und Areallösungen. Bis zur Coronapandemie war der Trend zum Wohnen in den Städten mit ihrer leistungsfähigen Infrastruktur weit verbreitet. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend nach Ende der Pandemie fortsetzt. In der Schweiz leben bereits knapp 85 Prozent der Bevölkerung im städtischen Umfeld.

Nach dem Nein zum revidierten CO2-Gesetz braucht es auf dem Weg zu Netto-null einen neuen politischen Anlauf. Welche Rolle spielen dabei die Städte?

Eine grosse Rolle. Wenn ich die Entwicklungen und Projekte in den Städten der Swisspower-Partner betrachte, habe ich nicht den Eindruck, dass das Nein zum CO2-Gesetz einen negativen Einfluss hatte. Den Stadtwerken ist der Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung schon seit mehr als zehn Jahren ein wichtiges Anliegen. Die meisten Städte befinden sich derzeit in einer aufwendigen und kostspieligen Umsetzung ihrer politischen Energie- und Klimaziele.

Hans-Kaspar Scherrer, CEO Eniwa AG
Hans-Kaspar Scherrer, CEO Eniwa AG
«Die CO2-Problematik ist eine Gefahr für Mensch und Natur, die sich langsam aufbaut. Es liegt an uns allen, diese Gefahr richtig einzuschätzen und zugunsten unserer nachkommenden Generationen alles zu unternehmen, um die heute noch guten Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten.»

Welche Botschaften sollten die Stadtwerke bei der klimapolitischen Debatte einbringen?

Mehr und mehr zeigt sich: Die Mittel für neue Netze wie zum Beispiel Wärmenetze, den Umbau der Gasversorgung auf klimaneutrale Gase und für den Bau von neuen Stromproduktionsanlagen lassen sich nicht innerhalb der notwendigen Frist erarbeiten. Es braucht also Fremdmittel oder die Unterstützung der öffentlichen Hand, um die hohen Baukosten für neue Energiesysteme zu finanzieren. Diese Situation ist für viele Energieunternehmen ungewohnt, da sie bisher kein Fremdkapital benötigten und nun ihre Finanzierungspolitik den Erfordernissen der Umwelt- und Klimapolitik anpassen müssen. Eine zentrale Botschaft der Stadtwerke in der klimapolitischen Debatte lautet daher: Die erforderlichen Investitionen für den Umbau der Energieversorgung und vor allem der Gasversorgung auf klimaneutrale Gase können nicht allein aus den heutigen Erträgen getätigt werden.

Ein nächstes CO2-Gesetz muss vor allem auch beim Stimmvolk eine Mehrheit finden. Wie gelingt das?

Mit möglichst viel Information und Wissensvermittlung. Hier wurde im Vorfeld der letzten Abstimmung sicher zu wenig geleistet. Zum Beispiel wurde den Aussagen zum teureren Benzin nicht entgegengehalten, dass Elektroautos drei- bis viermal tiefere Betriebs- und Unterhaltskosten verursachen. Wir müssen der Bevölkerung aufzeigen: Die CO2-Problematik ist eine Gefahr für Mensch und Natur, die sich langsam aufbaut. Es liegt an uns allen, diese Gefahr richtig einzuschätzen und zugunsten unserer nachkommenden Generationen alles zu unternehmen, um die heute noch guten Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten. Und dies möglichst überall auf unserem Planeten, weil sonst noch grössere Migrationsströme vom Süden in den Norden entstehen. Deshalb ist das Netto-null-Ziel gesetzt und die Swisspower-Städte tragen tatkräftig dazu bei, es zu erreichen.

Auch die Stadt Aarau befindet sich auf dem Weg zur Klimaneutralität. Welche Hürden liegen noch vor Ihnen – und welche haben Sie schon gemeistert?

Wir haben in Aarau vor elf Jahren mit dem Umbau der Energieversorgung begonnen, erste Wärme- und Kältenetze auf der Basis von Grundwasser aufgebaut und über Beteiligungen bedeutende Mittel in den Ausbau der erneuerbaren Strom-, Gas- und Wärmeproduktion investiert. Auch eine kompetente Energieberatung wurde aufgebaut. Der Anfang ist damit gemacht. Hürden liegen für Eniwa primär noch im Bereich der Finanzierung. Denn wir erhalten keine Mittel der öffentlichen Hand und müssen sämtliche Investitionen selbst stemmen. Weitere Herausforderungen stellen sich bei der Bewilligungs- und Realisierungsdauer sowie bei den personellen Ressourcen – etwa beim Rekrutieren von Fachkräften fürs Engineering. Am Netto-null-Ziel arbeiten wir nicht nur bei der Energieversorgung, sondern auch bei der Mobilität. In unserem Versorgungsgebiet verfügen wir bereits über rund 100 öffentliche Ladepunkte. Wir sind also gut gerüstet, wenn die Elektromobilität weiter zulegt.

Stadtwerkekongress 2022: «Starke Städte»

Bei Energie und Klimaschutz sind Städte einerseits Vorreiter, initiieren Lösungen für den Klimaschutz sowie für ein nachhaltiges Energiesystem und treiben diese voran. Andererseits sind sie von den Folgen einer möglichen Energie- und Klimakrise besonders betroffen. Der Stadtwerkekongress 2022 zeigt auf, wie die Stadtwerke gemeinsam mit ihren Partnern zu starken und resilienten Städten beitragen können.

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