«Die Dekarbonisierung ist ohne Kooperationen nicht machbar»

Das Energiestadt-Ranking zeigt: bei den erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz gehört Lausanne zu den führenden Schweizer Städten. Welche Ziele und Schwerpunkte verfolgt die Stadt in den kommenden Jahren? Antworten von Xavier Company, Stadtrat und Direktor der Services industriels de Lausanne.

Herzlichen Glückwunsch dazu, dass Lausanne die Führung im Ranking der Schweizer Energiestädte übernommen hat. Was macht Ihre Stadt bei der Energiepolitik besser als andere?

Xavier Company: Die Besonderheit von Lausanne scheint mir in der vollständigen Integration der Services industriels de Lausanne (SiL) in die Stadtverwaltung zu liegen. Durch die Gründung der SiL im Jahr 1896 sind Synergien zwischen der kommunalen Energiepolitik und der Entwicklung des Stadtwerks geschaffen worden. So wurde 1898 eine der ersten Wasserkraftkonzessionen für die Rhône erteilt, um die Stadt Lausanne mit Elektrizität zu versorgen. Zudem wurde ab 1934 eines der ersten Fernwärmenetze der Schweiz aufgebaut. Damals war es meines Wissens das zweitgrösste nach La Chaux-de-Fonds, heute sogar das grösste in der Schweiz. Und Lausanne realisierte eines der ersten Energiespar- und Energieeffizienzprogramme. Das sind die Säulen, auf die sich unsere Aktivitäten noch immer stark stützen. Parallel entwickeln wir neue Dienstleistungen mit dem Ziel, eine entschlossene Energiepolitik zu verfolgen, aber gleichzeitig auch den Erwartungen unserer Kundinnen und Kunden zu entsprechen.

Welche Schwerpunkte setzen Sie zurzeit auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel, das Lausanne bis 2050 erreichen will?

Im Stadtgebiet von Lausanne entfallen 60% der CO2-Emissionen auf die Gebäude. Deshalb besteht das vorrangige Ziel der SiL darin, Hauseigentümerinnen und -eigentümer zu begleiten und zu motivieren, ihre Gebäude zu sanieren. So wollen wir die jährliche Renovierungsrate von derzeit 1% auf 3,3% erhöhen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Dekarbonisierung durch den Ausbau der Fernwärme. Sie deckt derzeit 25% des Lausanner Wärmebedarfs ab mit einem Mix aus mehr als 60% erneuerbarer Energie und Abwärme. Diesen Anteil wollen wir bis 2035 auf 100% steigern. Zudem soll bis 2050 75% des Lausanner Wärmebedarfs über Tiefengeothermie, Energie aus Seewasser und Abwasser, Holzvergasung usw. gedeckt werden. Nicht zuletzt spielen die SiL eine wichtige Rolle beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge auf öffentlichem und privatem Grund, um die Mobilität zu dekarbonisieren.

Lausanne hat sich bei der Fernwärme also ambitionierte Ziele gesetzt. Welches sind die Erfolgsfaktoren, um die Herausforderungen zu meistern?

Die Nachfrage nach Fernwärmeanschlüssen wächst laufend. Deshalb besteht die grösste Herausforderung darin, die neuen Heizzentralen, die erneuerbare Energiequellen nutzen, rechtzeitig fertigzustellen. Diese Grossprojekte und die dafür nötigen, erheblichen Investitionen gilt es rechtzeitig zu planen. Das erfordert, die Mitarbeiterzahl durch Neueinstellungen zu erhöhen – eine anspruchsvolle Aufgabe angesichts des zunehmend angespannten Arbeitsmarkts in diesen Tätigkeitsbereichen.

Für die Wärmeproduktion möchten Sie unter anderem auf die Geothermie setzen. Wie gehen Sie dazu vor?

Geothermie ist tatsächlich ein wichtiger Eckpfeiler für die Erzeugung erneuerbarer Wärme. Nach 2016 und 2018 haben wir gerade eine dritte Kartografie des Untergrunds mithilfe spezieller Vibrationsfahrzeuge durchgeführt, um die Standorte mit dem grössten Potenzial in der Region Lausanne zu ermitteln. Da es sich um ein sensibles Thema bei gleichzeitig hohem Investitionsbedarf handelt, haben wir uns im Westen von Lausanne mit den Energieversorgern der betroffenen Gemeinden zusammengeschlossen (SIE und Romande Energie). Diese Zusammenarbeit ermöglicht uns, Wissen zu bündeln sowie Nutzen und Risiken zu teilen. Bis 2027 möchten wir eine erste Bohrung zum Speisen unseres Fernwärmenetzes durchführen. Langfristig sollen 5 bis 10% der Fernwärme aus geothermischer Energie stammen.


Xavier Company, Direktor Services industriels de Lausanne.
Xavier Company, Direktor Services industriels de Lausanne.
««équiwatt» ist ein Erfolg und entspricht gleichzeitig den Erwartungen der Bevölkerung. [...] Ausserdem ist der Zeitpunkt momentan ideal: Massnahmen zur Energieeffizienz sind natürlich umso rentabler, je höher die Energiepreise sind.»

Mit dem Programm «équiwatt» setzen Sie sich konsequent für Energieeffizienz ein und sind damit ein Vorreiter. Warum hat die Energieeffizienz in der Energiebranche noch immer keinen grösseren Stellenwert?

In diesem Jahr wurde uns allen mehr denn je bewusst, dass Energie ein begrenztes Gut ist und wir Massnahmen treffen müssen, um den Verbrauch zu senken. Auch wenn es für einen Energieversorger, dessen Umsatz primär von der Menge der verkauften Energie abhängt, paradox erscheinen mag: Sich für die Energiesuffizienz einzusetzen, stellt ein unerlässliches Ziel dar. Zunächst vor allem von der Politik gefordert, haben sich dadurch mittlerweile neue Geschäftsmöglichkeiten in den Bereichen Audit, Beratung und Energiedienstleistungen eröffnet. Es geht um unsere Fähigkeit, auf die Herausforderungen des Klimawandels und der Erhaltung der Biodiversität zu reagieren, aber auch um die Versorgungssicherheit und unsere Unabhängigkeit im Energiebereich. Diese Ziele müssen nicht nur von politiknahen Akteuren unterstützt werden, sondern genauso von der ganzen Energiebranche.

Welche Lehren haben Sie seit dem Start des Programms «équiwatt» gezogen? Was raten Sie anderen Stadtwerken, die sich ebenfalls stärker für die Energieeffizienz engagieren möchten?

«équiwatt» ist ein Erfolg und entspricht gleichzeitig den Erwartungen der Bevölkerung. Die Tatsache, dass dieses Programm komplett in die SiL integriert ist, verdeutlicht unsere Handlungsmöglichkeiten und legitimiert diejenigen Personen und Unternehmen, an die sich das Programm richtet. Programme wie «équiwatt» geben den von der lokalen Wirtschaft angebotenen Energiedienstleistungen Schub. Energiesparmassnahmen müssen somit fester Bestandteil der Ausrichtung jedes Stadtwerks sein. Denn unser Geschäft hängt schlussendlich vom Erreichen der angestrebten Energiesuffizienz ab. Ausserdem ist der Zeitpunkt momentan ideal: Massnahmen zur Energieeffizienz sind natürlich umso rentabler, je höher die Energiepreise sind.

In welchen Bereichen sollten die Schweizer Stadtwerke Ihrer Meinung nach enger zusammenarbeiten?

Die Dekarbonisierung unserer Aktivitäten ist ohne Kooperationen nicht machbar. Beim Ausbau grosser Infrastrukturen zur Erzeugung von Wärme – insbesondere Geothermie –, Strom oder erneuerbarem Gas muss eine Zusammenarbeit stattfinden. In diesem Bereich sind Wissensaustausch sowie das gemeinsame Tragen von Risiken unerlässlich, wenn wir die Klima- und Energieziele erreichen wollen. Zudem kommt der Austausch über bewährte Praktiken, sei es bei der Energieeffizienz oder beim Ausbau und bei der Instandhaltung von Netzen, allen zugute – besonders auch den Kundinnen und Kunden. Nicht zuletzt müssen die Energieversorger im Ausbildungsbereich gemeinsam nach vorn schauen und den künftigen Bedarf an technischen Fachleuten, die schon heute schwer zu finden sind, antizipieren.

Was erwarten Sie dabei von Swisspower?

Swisspower kann zwei wichtige Rollen spielen und tut dies bereits in vielerlei Hinsicht. Die erste besteht darin, den Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Energieversorgern mit gemeinsamen Zielen zu fördern. Die zweite Rolle, die meiner Meinung nach noch ausgebaut werden könnte, ist jene des Trägers von Grossprojekten, die kein Energieversorger allein tragen kann oder will – besonders für die Energieproduktion: Wasserstoff, Biogas, grosse Solarparks etc.