Während vieler Jahre war er nichts weiter als ein unschönes Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Rede ist vom ehemaligen Flakbunker, den die Nazis 1943 im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg errichten liessen. Rund 60 Jahre lang stand das Gebäude leer, weil es einsturzgefährdet war, durfte es nicht einmal betreten werden. Heute ist das ehemalige Kriegsbauwerk ein lokales Kraftwerk, das den Strombedarf von rund 1500 Haushalten deckt und etwa 1700 Wohnungen mit Wärme aus erneuerbaren Energien versorgt. Möglich macht dies ein innovatives Netz aus verschiedenen Anlagen im Innern des Bunkers. Der Kern des lokalen Öko-Kraftwerks ist ein Wärmespeicher, der von einem biomethanbefeuerten Blockheizkraftwerk, einer Holzfeuerungsanlage, der Abwärme eines Industriebetriebes sowie einer solarthermischen Anlage gespeist wird. Auf dem Dach und an der Aussenseite des Gebäudes ist auf einer Fläche von rund 2'000 Quadratmetern eine Solarhülle angebracht worden. Kurz: Aus der Kriegsruine ist ein Leuchtturmprojekt entstanden, das weltweit Beachtung findet. Und damit nicht genug: Das Café vju auf dem Dach des Kraftwerks bietet eine wunderbare Aussicht auf den Hamburger Süden.
Enge Zusammenarbeit mit der Uni
Ein idealer Ausgangspunkt also für die diesjährige Swisspower Innovationsreise. Diese führte Ende Oktober während zwei Tagen in die Hansestadt Hamburg, acht Mitarbeitende von sechs verschiedenen Stadtwerken nahmen daran teil. Ziel war es, Einblicke in innovative Energieprojekte im Ausland zu erhalten, neue Kontakte zu knüpfen und den Austausch zwischen den Stadtwerken zu vertiefen.
Zurück zum Bunker: Bevor die Gruppe eine Führung durch den einstigen Kriegsbunker Wilhelmsburg erhielt, wurde sie von Fabien Kneule, Koordinator Öffentlichkeitsarbeit Hamburger Energiewerke GmbH, und Friederike Knust, Referentin Strategie und Grundsatzfragen Hamburger Energiewerke GmbH, in die Innovationsstrategie der Hamburger Energiewerke eingeführt. Die Energiewerke sind bestrebt, neue Technologien auf Basis von erneuerbaren Energien zu entwickeln. Dabei ziehen sie sich nicht ins stille Kämmerchen zurück, sondern arbeiten eng mit der Technischen Universität Hamburg zusammen. In deren Reallabor werden die Neuerungen auf ihre Praxisfähigkeit getestet.
Bis 2030 CO2-neutral
Veränderungen stehen auch auf dem Areal des Heizkraftwerks Tiefstack an, das die Reisegruppe am Nachmittag des ersten Tages besuchte. Das Kohle-, Gas- und Dampfkraftwerk, das in der Billwerder Bucht liegt und der Stadt Hamburg gehört, soll bis spätestens 2030 CO2-neutral betrieben werden. Dafür wird das bestehende Kraftwerk durch ein Biomasseheizkraftwerk ersetzt. Auch an einem anderen Standort, nämlich beim stillgelegten Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg, plant die Stadt Hamburg derzeit den Umstieg auf CO2-neutral Energie. Hier ist der Bau eines Elektrolyseurs zur Gewinnung von grünem Wasserstoff geplant. Dies geschieht im Rahmen des Hamburg Green Hydrogen Hub, dessen Ziel es ist, die gesamte Hafenlandschaft zu dekarbonisieren. Läuft alles nach Plan, kann die Wasserstoffproduktion 2026 starten. Auch bei diesem Projekt wurde die Zusammenarbeit verschiedener Player stets grossgeschrieben. Am Planungsprozess waren Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und auch aus der Zivilgesellschaft beteiligt.
Um all die spannenden Informationen des ersten Tages setzen zu lassen, spazierte die Gruppe anschliessend gemeinsam zur Elbphilharmonie.
Wichtige Rolle der Stromnetze
Der zweite Tag stand im Zeichen der Stromnetze, spielen diese doch eine gewichtige Rolle bei der Energiewende. Bei Stromnetz Hamburg wurde die Gruppe von Björn Dietrich, Leiter Strategie und Kommunikation, und Bastian Pfarrherr, Leiter Innovation, in Empfang genommen, die sogleich das Unternehmen und dessen Innovationsstrategie vorstellten. Ein ganz spezieller Fokus lag auf dem Projekt Umspannwerk 2030, das Stromnetz Hamburg gemeinsam mit der Siemens AG und der Technischen Universität Hamburg durchführt. Gemeinsam mit diesen Partnern wurde ein Konzept zur Realisierung zukünftiger digitalisierter Umspannwerke erstellt. Die Gruppe aus der Schweiz hatte die Möglichkeit, die Demonstrator-Anlage im hauseigenen Labor zu begutachten, in der innovative Technologien in der Primär- und Sekundärtechnik erprobt werden.
Ähnliche Projekte in der Schweiz?
Mit vielen innovativen Ideen im Gepäck reiste die Gruppe am Mittag wieder in Richtung Schweiz ab. So zum Beispiel, dass es für den Bau von neuen Anlagen alte Gebäude und ungenutzte Industrieareale umgenutzt werden können. Oder auch, dass für eine erfolgreiche Energiewende die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft unabdingbar ist. Ob sich diese Ideen auch in der Schweiz umsetzen lassen, muss sich erst noch zeigen. Denn eines wurde auf der Reise deutlich: Obwohl die Herausforderungen in Deutschland ähnlich sind wie hier in der Schweiz, kann die Situation nicht verglichen werden. Nicht zuletzt, weil Energieversorger in Deutschland auch dank Fördermitteln der EU und der Deutschen Regierung über grössere finanzielle Möglichkeiten verfügen um explorative Projekte durchzuführen.