Wenn Stadtwerke durch Vernetzung die Energiezukunft mitgestalten: Roundtable-Gespräch zur Konvergenz der Netze

Roundtable-Gespräch mit Fredy Brunner, ehemaliger Stadtrat von St. Gallen, Daniel Schafer, CEO von Energie Wasser Bern, und Dr. Hans-Kaspar Scherrer, Vorsitzender der Geschäftsleitung der IBAarau AG und Verwaltungsratspräsident der Swisspower AG.

Erschienen in «Netze statt Märkte – Geschäftsmodell der Zukunft«,
Herausgeber: Dr. Hans R. Knobel und Manuela Stier,
Interview: Dr. Hans R. Kobel


Meine Herren, fast 3 Milliarden Menschen verschaffen sich über das Internet Informationen und Wissen oder tauschen Daten aus. Im Internet der Dinge kommunizieren heute schon mehr als 6 Milliarden Geräte und Systeme miteinander. Im Jahr 2020 sollen es 50 Milliarden sein. Durch den Einbezug von Digitalisierung, Big Data, Sensoren, Robotern und 3D-Printing wird durch vernetzte Technik Unglaubliches möglich. Wo erwarten Sie von diesen Entwicklungen erfolgversprechende Anwendungen und welche sehen Sie eher als Spielereien oder sogar Utopien?

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Sowohl durch die Digitalisierung, als auch die Übertragung von Daten in immer grösseren Bandbreiten werden in Zukunft zahlreiche neue Anwendungen im Energiebereich möglich sein. Es gibt bereits Pilotprojekte, die bald flächendeckend erweitert werden dürften. Smart Meters, also intelligente Stromzähler, die nicht nur in Echtzeit messen, sondern in Zukunft zusätzlich steuern und überwachen können, werden den Stromverbrauch flexibilisieren. Im Wohnbereich sind bereits intelligente Lösungen für verschiedene Funktionen realisiert. Was fehlt, ist noch die grosse Verbreitung von Smart Home Anwendungen. Wie sich das entwickeln wird, hängt stark von den Preisen ab. Die Vernetzung der Energienetze untereinander, inklusive die Thematik der Energiespeicherung, wird dank Digitalisierung rasch vorankommen. Wir brauchen die Vernetzung, wenn wir in Richtung einer dezentraleren Energieerzeugung gehen wollen. Eher als Utopie sehe ich die von gewissen Kreisen anvisierte 2000-Watt-Gesellschaft, vor allem in einem an Konsum gewöhnten Land wie die Schweiz. Ich bin skeptisch, ob die Menschen freiwillig auf bisher Gewohntes und fast als selbstverständlich Wahrgenommenes verzichten werden, zumal sich die 2000-Watt-Gesellschaft im Bereich der Lebensmittel und der Konsumgüter stark einschränken muss. Rasante Entwicklungen erwarte ich in der Kombination von Smartphones und Apps im Gesundheitswesen. Da werden wir noch Erstaunliches erleben. Ob aber alle technischen Möglichkeiten auch genutzt werden, lässt sich schwer voraussehen.

Daniel Schafer: Bisher haben wir in unserer Branche die Leute konsumieren lassen und sichergestellt, dass Erzeugung und Verbrauch von Strom und Wasser im Gleichgewicht gehalten werden konnten. Das war das Geschäftsmodell der letzten 100 Jahre. Ich bin aber überzeugt, dass das in Zukunft anders sein wird. Die digitalen Technologien werden es möglich machen, dass man Netze ganz anders betreibt und dass man mit den Konsumenten interaktiv kommunizieren kann. Auch wenn unser Auftrag der Versorgung mit Energie in Zukunft bestehen bleibt, so werden wir Strom und Wasser dank neuer Technologien intelligenter produzieren und verteilen können. Darüber hinaus gilt es auch, die Konsumenten an ein intelligenteres Verhalten gegenüber diesen Ressourcen heranzuführen.

Fredy Brunner: Grundsätzlich bin ich fasziniert von den neuen Möglichkeiten. Allerdings müssen wir noch lernen, mit der immensen Flut von Daten sinnvoll umzugehen. Auch wenn die neuen Technologien und Anwendungen für junge Menschen vielleicht einfacher sein mögen, so sind es doch gerade ältere Semester, die davon am meisten profitieren könnten, etwa im Bereich Smart Home. Als Stadt haben wir die Chancen der neuen Möglichkeiten in unser Smart City Konzept einfliessen lassen. Persönlich sehe ich ein grosses Potenzial für das 3D-Printing.

Visionär Jeremy Rifkin propagiert im Rahmen einer dezentralen Stromerzeugung ein noch zu bauendes Internet für Energie. Ist das aus Ihrer Sicht Utopie oder Chance für die Zukunft?

Fredy Brunner: Die dezentrale Energieversorgung ist zum Teil schon Realität. Ich glaube, dass sich diese Variante auch vermehrt durchsetzen wird. In den Schweizer Städten profitieren wir in diesem Zusammenhang bereits von der Konvergenz der Netze. Allerdings ist bei dezentraler Stromerzeugung durch Prosumenten insbesondere die Steuerung nicht ganz unproblematisch.

Daniel Schafer: Das Internet für Energie ist nicht zuletzt aus Gründen der Physik schwieriger zu handhaben, als das bekannte Internet, durch das wir Daten verschicken. Wenn beim unsachgemässen Transport oder Handling von Strom etwas schief geht, kann das zu folgenschweren Unfällen führen. Hier ist die Gewährleistung der Sicherheit schon noch ein Thema. Ob das bestehende Stromnetz ausgebaut werden muss, ist auch vor diesem Hintergrund noch abzuklären. Sehr wahrscheinlich kann man bereits mit den bestehenden Netzen viel mehr machen, als das bisher der Fall war. Wir müssen uns auch bewusst sein, dass ein Internet für Energie enorme Datenmengen liefern würde. Diese muss man sammeln, analysieren und daraus etwas Vernünftiges machen können. Andererseits sehe ich einen interessanten Aspekt dezentraler Stromerzeugung und dem Aufkommen der sogenannten Prosumenten darin, dass die Preise durch den Markt bestimmt würden. Natürlich muss auch ein derartiges Netz von jemandem betrieben und gewartet werden, sinnvollerweise von einem Energieerzeuger mit dem dafür notwendigen Know-how. Wenn wir von der Konvergenz der Netze sprechen, sollten wir uns dabei in Zukunft nicht auf Strom beschränken, sondern Gas, Wasser, Wärme in unsere Überlegungen einbeziehen.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Aus meiner Sicht ist das Internet für Energie keine Vision, sondern bereits heute Realität. Wenn wir in der Schweiz die Fotovoltaikanlagen anschauen, dann funktioniert das schon nach dem Prinzip des Prosumenten. Ich erwarte, dass mit der Wasserstofftechnologie und mit Biogasanlagen in Zukunft noch mehr Energie in die Netze eingespeist werden kann. Analoges beginnt auch mit dem Austausch von Wärme über Wärmenetze. Das Internet für Energie wird zu einer Commodity werden und die dezentrale Energieerzeugung wird zunehmen. Im Detail noch offener ist das Thema der Speicherung, sei es von Strom, Kälte oder Wärme. Insgesamt kann man sagen, dass die neuen Technologien auch zum sorgsameren Umgang mit den genannten Ressourcen beitragen und eine bisher nicht gekannte Flexibilität erlauben werden. Trotz den vielen positiven Aspekten bleibt zurzeit die Frage noch unbeantwortet, wer dann in einem voll liberalisierten Markt welche Aufgaben übernehmen wird.

Welchen Einfluss erwarten Sie von Digitalisierung und modernen Netzen auf die Energieversorgung und den Energieverbrauch, sowie auf die Art und Weise, wie in Zukunft gebaut und gewohnt wird?

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Für uns steht ganz klar die Energieeffizienz im Vordergrund und nicht Innovationen per se. Darum glaube ich auch, dass es nicht überall die volle Digitalisierung braucht. Bei grossen Gebäuden ist Smart Building sicher sinnvoll, bei kleineren ist weniger oft mehr. In der Praxis heisst das dann vielleicht, nicht immer die maximal mögliche Automatisierung zu wählen, sondern eine optimale Lösung anzustreben. Ganz grundsätzlich sollte man sich immer überlegen, ob wirklich alles nötig ist, was technisch machbar erscheint.

Fredy Brunner: Der Mensch ist grundsätzlich geprägt von Eigennutz und Kurzsichtigkeit. Aus diesem Grund wären also technische Lösungen zur Steuerung von Energieverbrauch und Energieeffizienz menschlichem Einwirken grundsätzlich vorzuziehen. Positive Möglichkeiten sehe ich zum Beispiel im Verbrauch nach Angebot und nicht – wie heute meistens noch der Fall – nach Belieben. Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass zu viel und zu dezentral verankerte Technologien die Anfälligkeit der Netze und damit der Gesamtsysteme erhöhen.

Daniel Schafer: Ich glaube nicht, dass – obwohl die technischen Möglichkeiten dies erlauben würden – die Zukunft in der totalen Vernetzung oder in der breiten Autarkie von Energie- und Wasserversorgung liegen wird. Unter intelligenten Lösungen verstehe ich vielmehr ein kluges Zusammenwirken von digitaler Technologie und menschlichem Denken. Denn wenn wir den Menschen ganz aus den zukünftigen Abläufen eliminieren würden, dann wären wir sicher suboptimal unterwegs. Und zwar energietechnisch und gesellschaftspolitisch, indem die Leute alle Verantwortung über ihr Handeln an Maschinen abgeben würden.

Werden die genannten Entwicklungen und Möglichkeiten die Organisation, Arbeitsweise und Geschäftsmodelle der verschiedenen Player in Ihrer Branche, insbesondere auch der Stromerzeuger verändern?

Fredy Brunner: Leider gibt es noch Player in der Branche, welche die Notwendigkeit zu Veränderungen negieren. Ich selber bin überzeugt, dass wir die Chancen und Herausforderungen anpacken müssen, um von den neuen Technologien und Marktentwicklungen profitieren zu können. Allerdings geht es bei neuen Geschäftsmodellen auch darum, klug abzuwägen, was im Rahmen von zentral und dezentral sinnvoll und nachhaltig intelligent ist. Denn letztlich braucht es für beide Varianten, wie bisher, eine Steuerung und Sicherstellung der Versorgung. Nicht zuletzt durch die Frage, wo in Zukunft bei den genannten Optionen die Wertschöpfung herkommen soll, müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass neue Modelle nicht zu einer Flut zusätzlicher Regulierungen führen. Auch aufgrund der Erfahrungen im europäischen Bahnverkehr stelle ich mir heute die Frage, ob die viel gelobte Entflechtung von Netz und Energie im Strombereich wirklich die beste Lösung darstellt.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Im Bereich der etwa 780 Energieunternehmen in der Schweiz sprechen wir ja auch von vielen mittelständischen Unternehmen. Da machen die genannten Veränderungen noch Mühe. Als Branche sind wir besonders herausgefordert, insbesondere, wenn dann noch nationale und internationale Quereinsteiger aus dem Nichtenergiebereich mit einem ganz anderen Tempo und grosser Finanzkraft als neue Player dazu stossen sollten. Der Wettbewerb wird sicher zunehmen. Gleichzeitig muss eine Überregulierung vermieden werden.

Daniel Schafer: Wer in unserer Branche in Zukunft mit grossen Datenmengen gut umgehen kann, ist sicher im Vorteil. Denkbare Quereinsteiger sind im Bereich Big Data meilenweit voraus. Da sehe ich für die bisherigen Player generell Nachholbedarf. Wichtig erscheint mir aber auch, dass wir uns im Denken auf die neue Wettbewerbssituation so einstellen, dass wir primär die Chancen sehen und nicht die Gefahren. Leider gibt es noch zu viele, die versuchen, zu verhindern, was sowieso kommen wird. In Analogie zu anderen Branchen braucht es wahrscheinlich auch bei uns vielerorts noch mehr Leidensdruck, um zu reagieren. Wir als Stadtwerke mit einer Zusammenarbeit im Rahmen von Swisspower haben relativ früh damit begonnen, zu agieren und uns neu auszurichten.

Wie beurteilen Sie das für Ihre eigenen Unternehmen?

Daniel Schafer: Wir versuchen, diese Herausforderungen ernst zu nehmen und unsere Mannschaft für Veränderungen fit zu machen. Dazu haben wir intern eine entsprechende Initiative «Fit für morgen» lanciert. Ich bin überzeugt, dass die Unternehmenskultur ganz entscheidend ist, wenn man in unserer Branche – wo man während 100 Jahren praktisch das Gleiche gemacht hat – zu neuen Ufern aufbrechen will. Zum Thema Geschäftsmodell der Zukunft versuchen auch wir, uns die Zukunft mit möglichen Szenarien zuerst einmal vorzustellen. Bisher genügte es, Abonnenten mit Strom zu versorgen. Wir müssen lernen, in Varianten zu denken, Kundenbedürfnisse in unsere Überlegungen aufzunehmen und doch letztlich den bisherigen Versorgungsauftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Es braucht Mut für Neues und strategisches Denken. Ich persönlich finde das spannend und faszinierend.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: In unserem Unternehmen haben wir die Themen Kundenorientierung und Dienstleistungen bereits ins Geschäftsmodell aufgenommen. Wir sind jetzt dabei, bisherige und neue Aktivitäten unseres Leistungsangebotes zu gruppieren und den Mitarbeitenden in Workshops zu vermitteln. Ich sehe es als problematisch, allein mit bestehenden Mitarbeitenden, die während Jahrzehnten in der bisherigen Kultur und Energielandschaft gearbeitet haben, erfolgreich in die digitale Zukunft schreiten zu wollen. Das heisst, wir brauchen zusätzliche Mitarbeitende von aussen, die fit sind in IT, in Marketing und Verkauf, in Business Development. Also alles Funktionen, die es im alten Geschäftsmodell so nicht gegeben hat, weil sie gar nicht benötigt wurden. Gerade weil es uns als Stadtwerke dank breitem Portfolio immer noch gut geht, ist das vermehrte Bewusstmachen der Dringlichkeit für Veränderungen ganz entscheidend, um auch in 20 Jahren noch erfolgreich am Markt bestehen zu können. Ich freue mich auf die Aufgabe, näher am Kunden zu sein und bedürfnisgerechter zu produzieren.

Fredy Brunner: Durch meine Berufserfahrung in der Privatwirtschaft bin ich natürlich marktgetrieben. Als Stadtrat mit Verantwortung für die Stadtwerke habe ich immer daran gearbeitet, diese für die Zukunft fit zu machen. Dazu gehört auch – wie unser Geothermieprojekt gezeigt hat – ein zukunftsorientierter und verantwortungsbewusster Umgang mit möglichen Risiken. Geschäftsmodelle der Zukunft müssen auch den Risikofaktor berücksichtigen, sonst ist Stillstand vorprogrammiert. Gleichzeitig haben wir sehr viel investiert in die Kundenbindung. Nur wenn die eigenen Stadtwerke viel Vertrauen geniessen, ist es möglich, die Konsumenten zu freiwilligen Mehrleistungen zum Umbau unserer Energieversorgung zu bewegen.

Nun gibt es mit Swisspower ein nationales Netzwerk im Bereich der Energieversorgung. Welche Rolle spielt dieses im Zusammenhang mit den genannten Entwicklungen?

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Swisspower beschafft für die angeschlossenen Stadtwerke Energie und mittelt deren Bedarf aus. Wir beschränken uns nicht nur auf das nationale Energienetz, sondern wir sehen natürlich auch die internationalen Möglichkeiten im Kontext der Energieversorgung. Trotzdem ist es für uns allein schon in der Schweiz sehr spannend, im Rahmen von Swisspower und den hierin zusammenarbeitenden Energieunternehmen die genannten Innovationen voranzubringen und umzusetzen. Eine wichtige Aufgabe von Swisspower liegt darin, dass in diesem Zusammenschluss grosse, mittlere und auch kleine Unternehmen die Chance und Möglichkeit erhalten, auf diesem faszinierenden Weg in die Energiezukunft erfolgreich unterwegs zu sein.

Daniel Schafer: Mit Swisspower gelingt es uns, dass die mitwirkenden 23 Schweizer Stadtwerke mit einer einheitlichen Vision und Message auftreten können und auch gehört werden. Denn gemeinsam erhalten wir eine gewichtige und nicht von den Grossen der Branche dominierte Stimme, die wir als einzelne Werke so nicht einbringen könnten. Uns geht es ja auch darum, positiv und konstruktiv die Energiezukunft mitzugestalten. Ein grosses Plus ist sicher, dass wir gemeinsam innovieren, voneinander lernen und Neues rasch flächendeckend in unserem Land multiplizieren können. Diese Vorteile werten wir als sehr wichtig, auch wenn die einzelnen Stadtwerke einmal hier oder dort als Konkurrenten auftreten mögen. Die Kooperation macht uns insgesamt stärker und hilft den Einzelnen, ihre Position in den angestammten Städten und Regionen zukunftsfähig auszubauen.

Fredy Brunner: Ein Netzwerk der Stadtwerke ist sinnvoll. Es wäre zu wünschen, dass der Austausch und die Wirkung nach aussen noch grösser sein könnten. Wir müssen auch akzeptieren, dass bei sich öffnenden Märkten die Interessen Einzelner den Zielen einer gemeinsamen Kooperationsorganisation widersprechen können. Das müssen wir auch bei Swisspower beachten und uns abstimmen, wie wir damit umgehen.

Welche Produkte und Dienstleistungen Ihrer Unternehmen und von Swisspower wurden durch Digitalisierung und moderne Netze bereits möglich?

Daniel Schafer: Der Wandel zu neuen Produkten und Dienstleistungen wird im Privatbereich sicher nicht so rasch erfolgen wie etwa im Telecombereich. Für den Konsumenten sind die durch Digitalisierung möglichen Verbesserungen seiner Energieeffizienz kostenmässig heute noch zu wenig attraktiv. Ein Haushalt bezahlt zum Beispiel für die Kommunikation in jedem Monat wesentlich mehr als für Energie. Entsprechend ist das Sparpotenzial bei Energie tiefer, der Anreiz zum Sparen auch. Man könnte auch sagen, für den Privaten ist das, was er mit Energie alles bewegen und nutzen kann, eigentlich zu billig. Ganz anders sehen das die Unternehmen. Sie sind wesentlich kostenbewusster, wenn es um Energie geht. Darum sind digitale Innovationen, die Sparen helfen, hier bereits im Einsatz.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Auf der Ebene von Swisspower haben wir bereits Pilotprojekte im Bereich Energieeffizienz, zum Beispiel mit Smart Meters, durchgeführt. Dann bauen wir gemeinsam ein Portal zum Thema Energieeffizienz auf und nutzen dieses bereits bei zahlreichen Partnern. Produkte und Dienstleistungen auf der Basis von Digitalisierung sind eher auf der Ebene der einzelnen Stadtwerke zu finden, besonders im Kontext mit dem Netzausbau durch Glasfasern bis zur einzelnen Wohnung. Wir sind uns bewusst, dass noch viel zu tun bleibt auf dem Weg zur «Vision 2050».

Fredy Brunner: Wenn ich jetzt die Situation in der Schweiz mit Europa vergleiche, so darf man schon sagen, dass die «Fiber to the Home» (FTTH) Initiative und deren Realisierung in der Praxis in unserem Land eine internationale Spitzenstellung einnimmt. Entsprechend kann ich mir schon vorstellen, dass wir im Sinn und Geist des bei uns gepflegten Bottom-up Ansatzes durchaus in der Lage sein können, intelligente Lösungen zur Energiethematik nicht nur für uns zu entwickeln und umzusetzen, sondern diese auch zu exportieren.

Wie können Ihre Kunden von interaktiver Vernetzung mit Ihren Unternehmen profitieren?

Daniel Schafer: Wenn ich jetzt an die Energiezukunft und an die einmal vermehrt auftretenden Prosumer denke, so eröffnet das enorme Chancen für neue Dienstleistungen, etwa in übergeordneten Bereichen wie Echtzeit-Energieflussanalysen, Energiesteuerung und -speicherung. Natürlich müssen wir dann als Stadtwerke – die grundsätzlich dafür prädestiniert sind – in der Lage sein, interaktiv mit den Kunden zu kommunizieren, grosse Datenmengen zu sammeln, auszuwerten und in automatische Abläufe und Befehlsketten einfliessen zu lassen. Und das immer mit dem Ziel der Energieoptimierung und Effizienzsteigerung.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Im Bereich der Energienetze ist die Digitalisierung, im Vergleich mit IT-Dienstleistungen für diesen Bereich, noch nicht weit gekommen. Da gibt es, wie mit unserem Smart Meter Projekt illustriert, noch viel Potenzial. Das Gleiche gilt nicht nur für Strom, sondern auch für Gas und Wasser. In Zukunft, wenn wir die Digitalisierung dieser Ressourcennetze einmal realisiert haben, können wir unseren Kunden alle gewünschten Daten, Darstellungen, Warnungen und vieles mehr zu ihrem Verbrauch ohne Zeitverzug über interaktive Netze liefern. Man könnte es vielleicht so formulieren: In Zukunft liefern wir nicht nur Ressourcen, sondern wir steuern als integrierter Lösungsanbieter auch den möglichst effizienten Verbrauch derselben.

Fredy Brunner: Unsere Industriekunden können schon heute von Energienetzen profitieren, wie das Energienetz Gossau-St.Gallen, das eine ganze Reihe von Daten zur Verfügung stellt. Das Energienetz GSG schafft damit die Voraussetzungen für einen gezielten Energieaustausch unter den Industriebetrieben.

Wo sehen Sie im Energiebereich und in Ihrer Branche besonders attraktive Perspektiven für den vermehrten Einsatz von Digitalisierung und modernen Netzen?

Fredy Brunner: Dank der Konvergenz der Netze sehe ich grosse Perspektiven im Bereich Energieeffizienz. Durch die vermehrte integrierte und digitalisierte Betrachtung von Mobilität, Strom und Wärme insgesamt sehe ich beachtliche Möglichkeiten im Energiesektor. Im Weiteren wird durch interaktive Kommunikation mit den Kunden einerseits unser Wissen über die Kundenwünsche vertieft und andererseits der Kundennutzen verbessert.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Wir werden eine Welt sehen, wo die Energieversorger wesentlich mehr in der Kommunikation aktiv sein werden. Unter Netzkonvergenz verstehe ich darum sowohl die technischen als auch kommunikativen Netze. Diese Kombination wird ganz neue Möglichkeiten für die Energiesteuerung eröffnen und dadurch zu enormen Fortschritten in der Energieeffizienz führen. Ich sehe durchaus ein Sparpotenzial im Stromverbrauch von 20%.

Daniel Schafer: Wir müssen noch lernen, im Energiebereich mehrdimensional zu denken. Alles, was mit Erzeugen, Ernten, Speichern, Verteilen, Kontrollieren, Steuern, Verbrauchen insgesamt zusammenhängt, kann dank Digitalisierung und modernen Netzen gemäss dem oft zitierten Begriff der Konvergenz der Netze sinnvoll analysiert und mit Ziel «Vision 2050» zu nützlichen Massnahmen umgesetzt werden. Wahrscheinlich müssen wir die Kommunikationsnetze nicht zuletzt auch noch vermehrt – und da bin ich wieder bei Swisspower – zur Aufklärung und vielleicht sogar zum Wachrufen der von Wohlstand und tiefen Energiepreisen verwöhnten Menschen in unserem Land einsetzen – ebenfalls mit Ziel «Vision 2050».

Ist die Ausbildung an unseren Schulen, Fachhochschulen und Hochschulen genügend auf diese Bedürfnisse und Möglichkeiten ausgerichtet, oder anders gefragt, bekommen sie den gewünschten Nachwuchs?

Daniel Schafer: Von gewissen Spezialisten gibt es definitiv zu wenig. Diese müssen wir dann im Ausland rekrutieren. Entscheidend für unsere Zukunft wird IT sein. Da sehe ich keinen Engpass im Nachwuchs. Hingegen müssen wir aufpassen, dass uns die Fachleute mit klassischem Ingenieurwissen ganz allgemein und diejenigen, die noch verstehen, wie Energienetze funktionieren, nicht verloren gehen. Da mache ich mir eher Sorgen.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Wir bilden bei uns permanent 50 Lehrlinge in 7 Berufen aus, Tendenz steigend. Das ist unser Beitrag, um den geeigneten Nachwuchs heranzubilden. Ich bin überzeugt, dass wir auch in Zukunft gute Berufsleute und Handwerker brauchen und nicht nur Hochschulingenieure. Wir sind alle gefordert, diese Berufe noch attraktiver darzustellen.

Fredy Brunner: Die Vollbeschäftigung in der Schweiz bringt eben auch mit sich, dass jeder den Beruf wählen kann, den er aus seiner Sicht attraktiv findet. Für die Bildung tun wir sehr viel. Im europäischen Vergleich stehen wir sicher gut da. Eine andere Frage ist, ob die Ressourcen genügen.

In welchen Bereichen und Branchen sehen Sie – im Sinne des Buchtitels «Netze statt Märkte» – die grössten Entwicklungen in den nächsten 10 Jahren?

Fredy Brunner: Ich bin überzeugt, dass es immer Netze brauchen wird. Damit stellt sich die Aufgabe, diese an den Wandel anzupassen, insbesondere auch, was Risiken anbelangt. Ich glaube, dass lokale Netze in Zukunft wichtiger werden, als manche heute denken.

Daniel Schafer: Ich glaube, dass die flächendeckende Verkabelung mit Glasfasernetzen praktisch bis hin zu jedem Individuum dazu führen wird, dass jeder global unbeschränkten und interaktiven Zugang zu unglaublichen Möglichkeiten hat. Bisherige Konsumenten werden zu Prosumenten. Der digitale Wandel wird praktisch alle Branchen und Bereiche erfassen und zum Teil fundamental verändern.

Dr. Hans-Kaspar Scherrer: Auch in den konventionellen Netzen wird in den nächsten Jahren viel passieren. Ich denke zum Beispiel an die Wärmenetze oder an die Wasserstofftechnologie und deren Anbindung an Gasnetze. In viel grösserem Ausmass und rasantem Tempo werden aber die Entwicklungen in den Kommunikationsnetzen vorangehen und alle Branchen einbeziehen.