Zu viele Bälle in der Luft

Artikel von Ronny Kaufmann, CEO Swisspower AG, in der «Bilanz» vom 25. Februar 2017: Die Strombranche muss heute mit zu vielen Herausforderungen jonglieren. Die Politik sollte sich deshalb dringend auf ein paar Regeln einigen – und so ein paar Bälle aus dem Spiel nehmen.

Ich kenne CEOs von Stromversorgungsunternehmen, die nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand sagen, dass übermorgen im Kerngeschäft mit Strom und Gas kein Geld mehr zu verdienen sein werde. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, Innovationen – und wir brauchen einen verlässlicheren Rechtsrahmen. Denn heute müssen wir mit vielen Bällen gleichzeitig jonglieren; mit zu vielen. Die Politik muss dringend ein paar Bälle aus dem Spiel nehmen. Und zwar folgende:

Ball 1 – Versorgungssicherheit:
Das Kerngeschäft droht wegzubrechen. Bei den aktuellen Börsenpreisen verdienen Schweizer Stromproduzenten heute kein Geld mehr. Besserung ist nicht in Sicht. Die Produktion fossiler Energie ist immer noch viel zu attraktiv, der Ausstoss von CO2 zu billig. In einem solchen Umfeld muss die Politik festlegen, ob und welche Produktions- und Speicherinfrastrukturen in der Schweiz als strategisch gelten sollen. Dabei ist auf erneuerbare Energie zu setzen, und die Atomkraftwerke sind als das zu sehen, was sie sind: ein Auslaufmodell.

Ball 2 – Marktdesign:
Die Regulierungsbehörde ElCom setzt heute Art. 6 Abs. 5 des Stromversorgungsgesetzes so um, dass Stromversorger mit eigener Produktion in der Schweiz gegenüber reinen Stromhändlern benachteiligt sind. Das heisst, dass kaum noch ein Versorger hierzulande in die Produktion erneuerbarer Energie investieren wird. Das haben nun auch Bundesrat und Parlament erkannt. Es ist allen klar geworden, dass ein gesetzgeberisches Warten auf ein künftiges Marktdesign nicht genügt. Die Versorgung mit erneuerbarer Energie aus der Schweiz darf nicht benachteiligt bleiben. Es gilt, jetzt zu handeln.

Ball 3 – Energiestrategie:
Jedes erfolgreiche Land braucht eine gute Energiestrategie. Auch die Schweiz. Die SVP hat nun aber das Referendum gegen das erste Massnahmenpaket ergriffen. Das ist insofern gut, als die Legitimation für ein solches Generationenprojekt mit einem Ja am 21. Mai 2017 nicht weiter hinterfragt würde. Andererseits birgt dieses Referendum das Risiko des Scheiterns und damit eines langfristig unsicheren Rechtsrahmens. Das wäre Gift für die Investitionsbereitschaft.

Ball 4 – Stromabkommen:
Da herrscht bekanntlich seit Monaten definitiv Sendepause aufgrund der institutionellen Fragen zwischen der Schweiz und der EU. Auch hier haben andere politische Entscheide zum Verhältnis Schweiz-EU dem Energiesektor nicht gerade geholfen. Und das trotz der Tatsache, dass die Schweiz im Herzen Europas mit einem vollständig integrierten Strommarkt nur mit Schaden eine Insel bleiben kann.

Ball 5 – Energiespeicher:
Es gibt bis heute keine gesetzliche Definition, was ein Energiespeicher ist. Das musste sogar Bundespräsidentin Doris Leuthard einräumen. Im Rahmen der Revision des Stromversorgungsgesetzes muss endlich ein technologieneutraler Rahmen für Speicher definiert werden, der die Chancen der Netzkonvergenz zwischen dem Strom- und dem Gasnetz nutzen lässt. Power-to-Gas-Anwendungen dürfen nicht weiter diskriminiert werden.

Ball 6 – Digitalisierung:
Der Energiekunde von morgen ist nicht nur Konsument – sondern auch Produzent. Er wird einen Teil seines Energiekonsums selbst produzieren oder diesen direkt vom Nachbarn kaufen wollen. Dezentrale Produktion und Speicherung sowie die Transaktionen zwischen Prosumern müssen deshalb geregelt werden. Während die Blockchain-Community bereits eine Welt am Horizont heraufziehen sieht, in der es keine Energieversorger und Banken mehr geben wird, weiss die Politik noch nicht, wie sie damit umgehen soll.