«Die Grenzwerte könnten sich als Stolperstein erweisen»

Jan Flückiger, Leiter Public Affairs & Kommunikation, äussert sich im Interview zum Beschluss des Ständerats für die Revision des CO2-Gesetzes.

Der Ständerat hat das CO2-Gesetz beraten und einige wegweisende Entscheide gefällt. Wie beurteilen Sie diese aus Sicht der Stadtwerke?

Der Ständerat hat insgesamt ein ambitioniertes Paket geschnürt. Das begrüssen wir. Nur wenn die Schweiz aufzeigt, wie sie die Ziele des Pariser Klimaabkommens selbst erreichen will, kann sie dies auch von anderen Ländern verlangen. Deshalb ist es auch richtig, dass mindestens 60 Prozent der CO2-Reduktionen im Inland erfolgen sollen. Dies ist ein positives Signal für die Wirtschaft und die Stadtwerke. Mit dem neuen Klimafonds bleiben die Gelder für das Gebäudeprogramm unbefristet erhalten. Zudem sollen zusätzlich 60 Millionen Franken pro Jahr zur Verfügung stehen für Projekte, welche die Versorgung mit erneuerbarer Wärme vorantreiben. Davon profitieren beispielsweise Wärmeverbünde oder Power-to-Gas-Anlagen.

Welche Aspekte des Gesetzes sind aus Ihrer Sicht weniger gelungen?

Erstens stelle ich fest, dass der Sektor Verkehr als grösster CO2-Verursacher nach wie vor sehr sanft angepackt wird. Gleichzeitig sollen für Gebäude sehr rigide Emissionsgrenzwerte eingeführt werden, obwohl der Gebäudesektor im Gegensatz zum Verkehr bereits bisher einen grossen Beitrag zur Reduktion geleistet hat und dies weiter tut.

Weshalb beurteilt Swisspower diese Grenzwerte kritisch?

Erstens aus staatspolitischer Sicht: Vorschriften für Gebäude liegen in der Kompetenz der Kantone. Dass der Bund jetzt solche Grenzwerte definiert, ohne den Kantonen vorher genügend Zeit zu geben, ihre Zwischenziele anderweitig zu erreichen, ist ein gröberer Paradigmenwechsel. Zweitens wird es schwierig sein, den vorgeschlagenen Grenzwert von 20 kg CO2/m2 Energiebezugsfläche ab 2023 umzusetzen. Faktisch werden damit nicht nur neue Ölheizungen verhindert, auch der Einbau einer neuen Gasheizung wird praktisch verunmöglicht. Dies selbst dann, wenn ein substanzieller Teil des bezogenen Gases erneuerbar ist. Die Grenzwerte sind zwar gut gemeint, aber letztlich könnten sie zum Stolperstein werden für den Umbau in Richtung erneuerbares Gesamtenergiesystem.

Wenn die Schweiz das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen will, muss sie früher oder später sowieso aus den Fossilen aussteigen.

Das ist auf lange Frist gesehen richtig. Künftig wird jedoch ein immer grösser werdender Teil des Gases aus erneuerbaren Quellen stammen. Diese Umstellung braucht aber etwas Zeit. Wenn wir uns diese Zeit nicht geben, wird es schwierig, die Gasinfrastruktur zu erhalten. Dies ist aber aus Sicht des Gesamtsystems wichtig. Denn mit der Power-to-Gas-Technologie haben wir die Möglichkeit, künftig Überschüsse aus erneuerbarer Stromproduktion im Sommer zu speichern und im Winter damit in dezentralen WKK-Anlagen Strom und Wärme zu produzieren. Damit würde auch das Stromversorgungsproblem im Winter entschärft.

Können Sie das ausführen?

Schon heute müssen wir im Winter Strom importieren. Diese Situation wird sich mit dem Atomausstieg sowie der Elektrifizierung von Mobilität und Wärme verstärken. Wenn jetzt aufgrund der rigiden Grenzwerte sehr viele Wärmepumpen zusätzlich installiert werden, und das auch in schlecht isolierten Gebäuden, wird das saisonale Ungleichgewicht noch grösser. Der Strom, den wir im Winter importieren, ist zudem alles andere als CO2-frei und erneuerbar. Das wird sich so schnell auch nicht ändern.

Die Swisspower-Stadtwerke arbeiten ebenfalls auf ein CO2-neutrales Energiesystem bis 2050 hin. Welche Massnahmen eignen sich aus Sicht von Swisspower, um den Gebäudebereich zu dekarbonisieren?

Es braucht einen Mix von Massnahmen. Zuvorderst sollte die Effizienz stehen. Genau diese wird jedoch durch zu scharfe Grenzwerte torpediert. Wer schon sehr viel Geld in den Heizungsersatz stecken muss, wird tendenziell weniger Geld übrig haben für die Sanierung der Gebäudehülle.

Wo immer möglich sollten zudem Wärmeverbünde mit erneuerbaren Energiequellen ausgebaut werden. Da gehen die Stadtwerke voran. Und schliesslich gilt es, die Gasversorgung zu dekarbonisieren. Einerseits mit der vollständigen Erschliessung des Biogas-Potenzials und andererseits eben mit Power-to-Gas-Anlagen. Investitionen in diese zukunftsträchtige Technologie werden aber mit zu rigiden Vorgaben verhindert.

Wie geht es nun weiter mit dem CO2-Gesetz?

Das Gesetz geht nach den eidgenössischen Wahlen in den Nationalrat. Danach kommt es voraussichtlich nochmals zurück in den Ständerat. Ich gehe davon aus, dass nach den Wahlen wieder faktenbasierter politisiert wird. Zudem erwarte ich vom Bundesrat, dass er noch vor der Schlussabstimmung aufzeigt, welche Konsequenzen für einzelne Gebäudetypen und Heizsysteme die Grenzwerte tatsächlich hätten. Ohne diese Grundlage darf eine solch weitgehende Entscheidung aus unserer Sicht nicht gefällt werden.