«Eine solche Anlage entsteht nur mit viel Pioniergeist»

Anfang September fand bei Limeco in Dietikon der Spatenstich für die erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz statt. Dass das Projekt diesen Meilenstein erreicht hat, ist auch der Verdienst von Thomas Di Lorenzo, Leiter Abwasserwirtschaft von Limeco (rechts im Bild), und Thomas Peyer, Leiter Beratung & Services von Swisspower (links). Im Interview erzählen sie von Hürden und Highlights.

Seit rund fünf Jahren arbeiten Sie beide für dieses Projekt. Was ist Ihre persönliche Motivation?

Thomas Di Lorenzo: Mich motiviert, dass ich mit meiner Arbeit einen sinnvollen Beitrag für die Allgemeinheit und die Umwelt leisten kann. Als Betreiber eines Klärwerks tragen wir wesentlich zum Gewässer- und Gesundheitsschutz bei. Dass wir durch die im Abwasser und im Abfall enthaltene Energie nun zusätzlich die Energiewende voranbringen, ist toll. Zudem wird die gemeinsam mit Swisspower, den Projektpartnern und meinem Team geleistete Arbeit von sämtlichen Kooperationspartnern anerkannt.

Thomas Peyer: Ich finde es beispielhaft, welcher Spirit bei diesem Projekt von Anfang an zu spüren war – von den CEOs aller Partner bis zum Einzelnen im Projektteam. Mich begeistert es, die Energiewende mit einem zukunftsfähigen Projekt in die Praxis umzusetzen und dabei Folgendes zu zeigen: Die Gasinfrastruktur ist ein wichtiger Teil beim Umbau des Schweizer Energiesystems.

Thomas Di Lorenzo, Leiter Abwasserwirtschaft, Limeco
Thomas Di Lorenzo, Leiter Abwasserwirtschaft, Limeco
«Dass wir durch die im Abwasser und im Abfall enthaltene Energie die Energiewende voranbringen, ist toll.»

Welche Rolle übernehmen Sie im Projekt?

Thomas Di Lorenzo: Bei Limeco als Bauherr bin ich der Projektverantwortliche und zuständig für die Zielerreichung. Ich beaufsichtige und unterstütze die Gesamtprojektleitung und vertrete das Projekt gegen aussen. Mir ist es besonders wichtig, die Anlage so zu optimieren, dass der Gestehungspreis des produzierten erneuerbaren Gases stimmt. Es gehört zu den Zielen des Projekts, eine industrielle Power-to-Gas-Anlage kommerziell zu betreiben. Das soll weitere Bauherren bewegen, eine solche Anlage zu realisieren.

Thomas Peyer: Als Vertreter der Bauherrschaft und der beteiligten Gasversorger nehme ich eine Scharnierfunktion zwischen Bauherr, Kooperations- und Technologiepartnern wahr. Dazu gehört, als «Brückenbauer» viel Überzeugungsarbeit zu leisten und Vertrauen zu bilden. Gleichzeitig verstehe ich mich als Sprachrohr für energiepolitische Botschaften. In die Umsetzung der Energiestrategie 2050 muss die Gasinfrastruktur miteinbezogen werden. Ich zeige deshalb auf, wie wichtig es ist, den Umbau des Energiesystems zu Ende zu denken. Das tut dieses Projekt in vorbildlicher Weise.

Was braucht es, damit ein solches Kooperationsprojekt gelingt?

Thomas Peyer: Einerseits braucht es einen mutigen Vorreiter ­– einen Träger für den Bau der Anlage. In unserem Projekt ist das Limeco. Andererseits werden in diesem Pionierprojekt die Risiken auf mehrere Kooperationspartner verteilt. Die Risikobereitschaft und die strategische Weitsicht der beteiligten Unternehmen gehören zu den Schlüsselfaktoren.

Thomas Di Lorenzo: Eine solche tragende Kooperation, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert, ist elementar. Dafür braucht es von Beginn an eine offene und transparente Haltung aller.

Thomas Peyer: Wichtig ist zudem ein Business Case, der für alle Beteiligten stimmt. Dabei stehen nicht die Renditeerwartungen zuoberst, weil es sich um ein Projekt an der Grenze zur Marktreife handelt. Nicht zuletzt zählen der Spass an der Sache und die gute Chemie unter den beteiligten Personen.

Thomas Peyer, Senior Consultant Swisspower AG / Geschäftsführer Swisspower Green Gas AG
Thomas Peyer, Senior Consultant Swisspower AG / Geschäftsführer Swisspower Green Gas AG
«Die Risikobereitschaft und die strategische Weitsicht der beteiligten Unternehmen gehören zu den Schlüsselfaktoren in diesem Projekt.»

Was waren die grössten Hürden, die das Projekt bis anhin überwinden musste? Wie gelang dies?

Thomas Di Lorenzo: Zu den Herausforderungen gehören etwa die Kredit- und Bewilligungsprozesse sowie der Wechsel von Projektpartnern. Die Planungswiederholungen haben sich aber gelohnt: Während die vorherige Anlagenauslegung individuelle Komponenten vorsah, setzt das neue Konzept stärker auf standardisierte Anlagensysteme. Das erhöht die Betriebssicherheit der Anlage. Eine weitere Hürde war, die fürs erneuerbare Gas noch geltende Wasserstoff-Obergrenze einzuhalten. Dazu wurde eine erweiterte Reinigungsstufe nötig, die den überschüssigen Wasserstoff mit einer Membran aus dem Gas abscheidet. Die Gasreinigung sowie weitere standardisierte Systeme erforderten eine Verschiebung des Bauprojekts um rund 40 Meter.

Thomas Peyer: Keine Hürde, dafür aber eine Erfolgsgeschichte ist die Unterstützung der Power-to-Gas-Anlage durch das Bundesamt für Energie (BFE). Zu Beginn zeigten sich die Verantwortlichen des BFE zurückhaltend, weil der Bund in der Vergangenheit bereits andere Pilot- und Demonstrationsanlagen für die Power-to-Gas-Technologie förderte. Wir konnten aber darlegen, dass unsere Anlage neben der industriellen Dimension einen zusätzlichen, förderungswürdigen Funktionsnachweis erbringen kann: Sie ermöglicht eine flexible, nachfrageorientierte Einspeisung von Strom aus der KVA ins Netz. So kann Limeco künftig zusätzliche Sekundärregelleistung anbieten.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus dem bisherigen Projektverlauf mit?

Thomas Di Lorenzo: Erstens zahlt sich der Mut aus, die Arbeiten zwischendurch mal zu stoppen, um für offene Punkte bessere Lösungen zu finden. Zweitens braucht es einen grossen persönlichen Einsatz der treibenden Kräfte. Drittens zeigt sich wieder einmal – auch wenn es vielleicht abgedroschen klingt: Gemeinsam sind wir stark.

Thomas Peyer: In einem Projekt dieser Art taucht öfter ein neues Problem, ein zusätzliches Risiko auf. Dafür gibt es Lösungen. Aber das Vertrauen der Kooperationspartner darf dabei nicht überstrapaziert werden. Ein intensiver Austausch mit ihnen ist zwingend. Gemeinsam muss man sich immer wieder fragen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Können wir die Risiken tragen? Unterstützen wir das Vorhaben noch in corpore? Was ich ebenfalls mitnehme: Eine solche Anlage entsteht nur mit viel Pioniergeist.

Kooperationsprojekt zwischen Energie- und Abfallwirtschaft

Die erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz wird ab Winter 2021/22 mit Strom aus der Kehrichtverwertung und CO2 aus der Abwasserreinigung jährlich rund 18'000 MWh erneuerbares Gas produzieren und ins Netz einspeisen. Limeco realisiert die Anlage in Kooperation mit acht Schweizer Energieversorgern: Eniwa, Energie Zürichsee Linth, St. Galler Stadtwerke, Energie Wasser Bern, die Gas- und Wasserversorgungen von Dietikon und Schlieren, SWL Energie und Industrielle Betriebe Interlaken. Die Kooperationspartner erwerben die Zertifikate für den ökologischen Mehrwert des erneuerbaren Gases und finanzieren so Bau und Betrieb der Power-to-Gas-Anlage. Swisspower hat das Projekt mitinitiiert.

Das Bundesamt für Energie unterstützt das Projekt im Rahmen seines Pilot- und Demonstrationsprogramms.

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