Neuer Bericht zu WKK-Anlagen: «Die WKK spart Primärenergie ein»

Welchen Beitrag können WKK-Anlagen zur Versorgungssicherheit in der Schweiz leisten? Dieser Frage gehen Swisspower und mehrere Fachpartner in einem neuen Bericht nach. Thomas Peyer und Mauro Montella, Senior Consultants bei Swisspower, über die wichtigsten Erkenntnisse und die nächsten Schritte für mehr WKK-Anlagen.

Warum hat Swisspower diesen umfassenden Bericht zur Wärme-Kraft-Kopplung (WKK) verfasst?

Thomas Peyer: Eine Studie der ElCom zur Stromversorgungssicherheit kam im Herbst 2021 zum Schluss: Um eine drohende Strommangellage zu vermeiden, braucht die Schweiz Gaskraftwerke mit 1000 MW elektrischer Reserveleistung. Der Nachteil solcher grosser Kraftwerke sind die hohen Wärmeverluste. Wir sind überzeugt, dass die hocheffizienten, dezentralen WKK-Anlagen viel besser ins künftige Energiesystem passen. Darum haben wir uns entschieden, mit einem breit abgestützten Bericht das Potenzial der WKK für die Versorgungssicherheit fachlich fundiert zu beurteilen. Gemeinsam mit unseren Fachpartnern untersuchen wir darin unter anderem den Ersatz fossiler Brennstoffe durch WKK-Abwärme, die Produktion von Winterstrom und den Einsatz von WKK-Anlagen als Reservekraftwerke.

Breit abgestützter Bericht

Den Bericht «Multi-Energy-Hub und WKK: Integration von WKK-Anlagen in thermischen Netzen als Beitrag zur Versorgungssicherheit» hat Swisspower gemeinsam mit folgenden Fachpartnern erstellt: EVU Partners AG (regulatorische Rahmenbedingungen), Limeco (KVA und CCS-Anlagen), Midiplan GmbH & Co. KG (KWK-Gesetz Deutschland), Rytec AG (Grundlagen und Analysen zentrale WKK-Anlagen) und St.Galler Stadtwerke (dezentrale WKK-Anlagen). Entstanden ist der Bericht in Kooperation mit Powerloop und mit Unterstützung des BFE.


Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts?

Thomas Peyer: Erstens ist das Potenzial von WKK-Anlagen gross genug, um in kalten Perioden die Spitzenlast der Schweizer Fernwärmenetze abzudecken. So lassen sich pro Heizsaison 2 bis 2,5 TWh Öl und Gas ersetzen und gleichzeitig entsteht Winterstrom – genau dann, wenn wir ihn für die Versorgungssicherheit am dringendsten benötigen. Zweitens beweist der Bericht eindrücklich: Die WKK ist eine hocheffiziente Technologie und spart im Vergleich zum Stromimport Primärenergie ein.

Obwohl dafür Gas importiert werden muss?

Thomas Peyer: Ja. Denn erstens muss dadurch weniger Strom importiert werden, der im Winter zu einem beträchtlichen Teil in ineffizienten Grosskraftwerken aus Gas oder sogar aus Kohle entsteht – mit hohen Verlusten. Und zweitens ersetzt die hergestellte Wärme die ebenfalls weniger effiziente Wärmeproduktion mit Spitzenlastkesseln. Bei einem wärmegeführten Betrieb sparen WKK-Anlagen rund 40 Prozent Primärenergie ein.

Welche weiteren Vorteile haben WKK-Anlagen – speziell aus Sicht der Stadtwerke?

Thomas Peyer: Sie eignen sich perfekt für die Dezentralisierung des Energiesystems, welche die Stadtwerke derzeit planen und umsetzen. Als hochflexible Erzeuger stabilisieren sie die Netze, liefern bei Bedarf Regelenergie, eignen sich für einen Inselnetzbetrieb und sind schwarzstartfähig.

Was sagt Ihr Bericht über die Wirtschaftlichkeit aus?

Mauro Montella: Wärmegeführte WKK-Anlagen zur Spitzenlastabdeckung haben wenige Volllaststunden und somit hohe Fixkosten pro Kilowattstunde im Vergleich zur wärmeorientierten Betriebsart, in welcher die Anlagen die Grundlast abdecken. Ihre Wirtschaftlichkeit ist daher nur gegeben, wenn zusätzliche Erträge damit generiert werden. Dies ist einerseits durch die Produktion von Regelenergie möglich und andererseits durch das Vorhalten von Kapazitäten für die Winterreserve. Hier kann Swisspower übrigens einen Erfolg verzeichnen: Auch dank unserer Intervention sind WKK-Anlagen in der Winterreserveverordnung des Bundesrats erwähnt und können an den entsprechenden Ausschreibungen teilnehmen.

Wie passt das zur Funktion als Spitzenlastanlagen für Wärmenetze?

Mauro Montella: Entscheidend ist die zeitliche Abgrenzung: Während der Heizperiode decken die WKK-Anlagen die thermische Spitzenlast ab. In der Übergangsphase von März bis Mai ist dies meist nicht mehr nötig. Dann können die Anlagen ihre elektrische Leistung als Reserve vorhalten.

Politisch wird oft argumentiert, WKK-Anlagen seien nur mit erneuerbaren Energien legitim. Was sagen Sie dazu?

Thomas Peyer: Natürlich muss das Ziel sein, WKK-Anlagen mit erneuerbarem Gas zu betreiben – aber nicht sofort, sondern mit kontinuierlich steigendem Anteil entlang eines Zielpfads. Kurzfristig bedeutet die politische Forderung nach vollständiger Erneuerbarkeit ein Killerkriterium für WKK-Anlagen. Besonders störend: Beim Strom stellt die Politik diese Forderung nicht. Da spielt es offenbar keine Rolle, woher er kommt, auch wenn der importierte Strom vorwiegend fossil produziert wird. Die deutlich höhere Effizienz inländischer WKK-Anlagen gegenüber ausländischen Grosskraftwerken wird schlicht ausgeblendet.

Ist ein Betrieb mit erneuerbaren Gasen mittelfristig von den Mengen her überhaupt realistisch?

Thomas Peyer: Ja. Vor allem bei den ARAs besteht noch ein Potenzial für die Biogaseinspeisung. Auch in der Landwirtschaft liegt noch viel ungenutzte Biomasse brach. Hinzu kommen die Produktion erneuerbarer Gase in Power-to-Gas-Anlagen mit überschüssigem Sommerstrom und der Import, wie wir ihn bei der Swisspower Green Gas AG forcieren. Um die nötige Versorgungssicherheit zu erreichen, benötigen wir zusätzlich lagerbare flüssige Energieträger wie LNG, Ammoniak oder Methanol sowie Speicherkapazitäten für erneuerbares Gas.

Thomas Peyer & Mauro Montella (v.l.)
Thomas Peyer & Mauro Montella (v.l.)

Ihr Bericht liegt nun vor. Wie beurteilen Sie die Arbeiten dafür?

Thomas Peyer: Gemeinsam ist es den mitwirkenden Partnern gelungen, einen gangbaren Weg für den Ersatz fossiler Grossanlagen durch WKK-Anlagen aufzuzeigen. Zudem tragen wir mit dem Bericht und schon mit den Arbeiten dafür viel dazu bei, Behörden, Politik, Lieferanten und die Stadtwerke für das Thema zu sensibilisieren.

Wie werden die Erkenntnisse des Berichts genutzt?

Mauro Montella: Dazu ist wichtig zu wissen: Im Auftrag des BFE haben wir parallel eine Evaluation von Standorten in der ganzen Schweiz durchgeführt, welche sich für den Ausbau von WKK-Anlagen eignen. Als Standorte bieten sich etwa KVAs und Biomasse-Kraftwerke an. Kriterien für die Evaluation sind unter anderem der Platzbedarf, die Anbindung an Strom-, Gas- und Wärmenetze sowie die Unterstützung der KVA- oder Kraftwerksbetreiber. Mittlerweile besteht eine Liste mit 15 geeigneten Standorten. Auf Basis unseres WKK-Berichts erarbeiten wir nun einen Umsetzungsvorschlag für die Ablösung der temporären Reservekraftwerke durch WKK-Anlagen bis Mitte 2026. Schon nur an den 15 evaluierten Standorten lässt sich aggregiert eine elektrische Leistung von knapp 250 MW realisieren – ein Viertel der von der ElCom ermittelten 1000 MW.


Welche Rolle spielen die Swisspower-Stadtwerke bei dieser WKK-Offensive?

Mauro Montella: Wir streben ein WKK-Pooling an – das koordinierte Bauen und die Vernetzung einzelner Anlagen zu virtuellen Kraftwerken. Durch die Standardisierung der Anlagen lassen sich die Investitionen deutlich senken. Die Stadtwerke können sich an der gemeinsamen Finanzierung beteiligen, sich als Betreiber von Anlagen engagieren und die produzierte Energie vermarkten.

Welcher politische Handlungsbedarf besteht, um ein solches Vorgehen zu ermöglichen?

Mauro Montella: Die Winterreserveverordnung ist bisher in kein Gesetz eingebettet. Mit einer Kommissionsmotion fordert die nationalrätliche Energiekommission nun ein eigenes Gesetz für die Reservekraftwerke. Seitens Swisspower erwarten wir, dass die WKK-Anlagen darin explizit für die Reservehaltung vorgesehen sind und finanziell gefördert werden. Als Anreiz für den raschen Zubau der ersten 500 MW braucht es zusätzlich Investitionsbeiträge. Zudem fordern wir einen klaren Zielpfad für die Erneuerbarkeit des eingesetzten Gases. Dazu sind Anpassungen im CO2-Gesetz nötig: zum Beispiel die Anerkennung importierter erneuerbarer Gase, verbesserte Rahmenbedingungen für den Bau inländischer Biogasanlagen und die uneingeschränkte Befreiung vom Netzentgelt für Power-to-Gas-Anlagen.

Entscheid des Nationalrats vom 3. Mai 2023 für die Förderung von WKK-Anlagen

Im Februar 2023 wurde von der zuständigen Kommission des Nationalrates eine Kommissionsmotion für den Bau von WKK-Anlagen zur Sicherung der Winterstromversorgung eingereicht. Diese Motion verlangt, dass der Bundesrat auf Gesetzesebene Massnahmen vorsieht, um mittels WKK-Anlagen die Winterstromversorgung zu sichern. Der Bundesrat hat die Annahme der Motion beantragt. Am 3. Mai hat der Nationalrat die Motion mit 126 zu 48 Stimmen bei 11 Enthaltungen angenommen. Als nächstes wird der Ständerat über die Motion befinden.