Stimmt die Stossrichtung des Mantelerlasses für Swisspower grundsätzlich?
Philipp Mäder: Ja, wir haben den Mantelerlass von Anfang an unterstützt. Denn er geht bei wesentlichen Aspekten in die richtige Richtung. Unter anderem macht er inländische Investitionen in die erneuerbaren Energien attraktiver und vereinfacht die Verfahren. So stehen die Chancen gut, dass Projekte, die seit Langem in der Pipeline sind, endlich realisiert werden. Das ist dringend notwendig, um in der Schweiz mehr Produktionskapazitäten für erneuerbaren Strom und Grüngas aufzubauen. In der Vernehmlassung zum Mantelerlass kritisierten wir zwei Punkte: Die Vorlage des Bundesrats geht erstens zu wenig auf die Versorgungssicherheit im Winter ein. Und zweitens gewichtet sie beim Bau neuer Produktionsanlagen den Natur- und Landschaftsschutz noch immer höher als die Nutzung der erneuerbaren Energien. Wir sind froh, dass der Ständerat die Vorlage bei beiden Punkten in unserem Sinne korrigiert hat. Beim Abwägen von Schutz und Nutzen gab es in der vorberatenden Kommission Anträge, die eine noch stärkere Gewichtung des Nutzens forderten. Diese Anträge unterstützten wir, sie fanden aber keine Mehrheit. Der Ständerat fürchtete offenbar, dass die Vorlage sonst bei einer allfälligen Referendumsabstimmung scheitern könnte. Tatsächlich müssen wir vermeiden, dass dem Mantelerlass das gleiche Schicksal droht wie dem CO2-Gesetz, das der Souverän an der Urne versenkte.
Verschärft hat der Ständerat die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien. Sind die Ziele überhaupt noch realistisch?
Wir begrüssen die ehrgeizigeren Ziele. Sie sind nötig, wenn wir bis 2050 Netto-Null erreichen wollen. Richtig ist aber auch: Mit den Zielen selbst ist noch keine einzige zusätzliche Anlage gebaut. Deshalb braucht es nun auf sämtlichen Ebenen Massnahmen – vor allem, um finanzielle Anreize zu schaffen und die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die verschärften Ziele erhöhen den Druck, dass es endlich vorwärtsgeht.
Ein zentrales Ziel des Mantelerlasses lautet, eine Winterstromlücke zu verhindern. Was dabei auffällt: Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen sollen bei der Bildung einer Winterreserve keine prioritäre Rolle spielen. Investitionen in solche Anlagen werden nicht zusätzlich gefördert. Eine vertane Chance?
Genau. Wir bedauern sehr, dass der Ständerat Investitionsbeiträge für WKK-Anlagen mit einem Zufallsentscheid von 21 zu 20 Stimmen abgelehnt hat. Denn welche Alternativen zur WKK gibt es im Kampf gegen eine Winterstromlücke? Das geplante grosse Ölkraftwerk ist mittelfristig sicher keine gute Option. WKK-Anlagen sind die bessere Lösung: Sie funktionieren äusserst effizient und liefern im Winter sowohl Strom als auch Wärme, können also fossile Heizungen ablösen. Bei der WKK hoffen wir auf den Nationalrat – dass er den Entscheid korrigiert und der Ständerat anschliessend ebenfalls auf diese Linie einschwenkt.
Wie setzen Sie sich dafür ein?
Einerseits führen wir zurzeit zahlreiche Gespräche mit Mitgliedern beider Kammern des Bundesparlaments, um unsere Argumente nochmals darzulegen. Andererseits arbeiten wir zusammen mit mehreren Partnern an einer grossen Studie zur WKK. Sie ermittelt unter anderem geeignete Standorte für WKK-Anlagen und untersucht, welche regulatorischen Änderungen es braucht, damit die Anlagen gebaut werden können. Die Studienresultate unterstützen uns bei den politischen Diskussionen.
Die vollständige Strommarktöffnung ist mit dieser Vorlage vom Tisch. Wie steht Swisspower dazu?
Die Liberalisierung ist nicht aufgehoben, sondern vorerst aufgeschoben. Aus gutem Grund: Der rasche Ausbau beim erneuerbaren Strom hat zurzeit klar die höhere Priorität. Würde die vollständige Marktöffnung jetzt vorangetrieben, würde dies den Zubau bei den Erneuerbaren stark bremsen, weil Politik und Verwaltung mit der Liberalisierung beschäftigt wären. Hinzu kommt: Die aktuelle Energiekrise hat eines der Hauptargumente für die Strommarktöffnung entkräftet. Bisher hiess es immer, die gebundenen Kundinnen und Kunden seien schlechtergestellt und würden zu viel bezahlen. Doch aufgrund der explodierenden Handelspreise sind die Kunden in der Grundversorgung heute im Vorteil.
Swisspower setzt sich für den Ausbau der Wasserkraft ein. Mit dem Mantelerlass kann der Bundesrat für neue oder erweiterte Pumpspeicher-Kraftwerke Investitionsbeiträge bis 60 Prozent der Investitionskosten vorsehen. Ist dieser Schritt richtig?
Ja. Denn heute werden zwar Wasserkraftwerke mit Investitionsbeiträgen gefördert. Der Umwälzanteil von Pumpspeicher-Kraftwerken ist davon aber ausgenommen. Als dies beschlossen wurde, lautete die Überlegung: Die Umwälzung ist ohnehin rentabel, weil sie sich nach dem Bedarf am europäischen Strommarkt ausrichtet. Doch die klassische Funktionsweise – Wasser tagsüber turbinieren und nachts mit billigem Strom wieder hochpumpen – gerät immer mehr in den Hintergrund. Künftig dienen Pumpspeicher-Kraftwerke vor allem der Integration erneuerbarer Energien, also dem Gleichgewicht im Schweizer Energiesystem. Für dessen Umbau braucht es zusätzliche hochflexible Speicherkapazitäten wie Pumpspeicher-Kraftwerke. Ohne Investitionsbeiträge werden solche Projekte aber kaum realisiert.
Sie haben es bereits erwähnt: Bald diskutiert der Nationalrat über den Mantelerlass. Wo ausser bei den WKK sollte er aus Sicht der Stadtwerke noch Korrekturen vornehmen?
Ein problematischer Punkt im Gesetz ist die aktuelle Ausgestaltung der lokalen Elektrizitätsgemeinschaften. Sie bedeuten eine vorschnelle Ausweitung der bewährten ZEV. Die neuen Gemeinschaften bieten Konsumierenden und Produzenten von erneuerbarem Strom sowie Speicherbetreibern die Möglichkeit, sich frei untereinander mit Strom zu versorgen und dabei das lokale Verteilnetz in Anspruch zu nehmen.
Was ist hier das Problem?
Es droht eine Entsolidarisierung beim Verteilnetz. Wer künftig an eine Elektrizitätsgemeinschaft angeschlossen ist, bezahlt kaum noch Netznutzungsgebühren – stützt sich aber bei Bedarf trotzdem voll auf den Verteilnetzbetreiber und sein Netz ab. Die übrigen Stromkonsumierenden hingegen müssen nahezu die gesamten Netzkosten tragen. Und diese steigen, da auch die Wasserkraftreserven und die Reservekraftwerke über das Netz finanziert werden. Hier braucht es eine Kostenwahrheit für den Service Public, den die Energieversorger leisten. In der jetzigen Form stehen wir den Elektrizitätsgemeinschaften daher kritisch gegenüber. Wir setzen uns dafür ein, dass im Nationalrat eine vertiefte Debatte dazu stattfindet.