Das neue Seewasserwerk des ESB: Eine Weltpremiere am Bielersee

Der Energie Service Biel/Bienne (ESB) löst sein in die Jahre gekommenes Seewasserwerk Ipsach ab. Mit der gewählten Technik setzt er neue Massstäbe beim sparsamen Einsatz von Energie und Chemikalien. Mehr noch: Das neue Seewasserwerk ist das weltweit erste mit einer Umkehrosmose, die bei der Aufbereitung von Oberflächenwasser ohne chemische Antibelagmittel (Antiscalant) betrieben wird.

Seit mehr als 50 Jahren liefert das bestehende Seewasserwerk (SWW) des ESB nahezu unterbruchfrei Trinkwasser. In den nächsten Jahren erreichen aber verschiedene wichtige Komponenten das Ende ihrer technischen Lebensdauer. Da das SWW dauernd in Betrieb sein muss, ist eine Totalsanierung nicht möglich. Die Prüfung aller Alternativen hat gezeigt: Die beste Lösung, um die Wasserversorgung sicherzustellen, ist ein neues SWW am bisherigen Standort.

Ausgelegt für die Zukunft

Die Anforderungen an die Anlage sind hoch. Denn in den Bielersee fliesst das gereinigte Abwasser der Städte Interlaken, Thun, Bern, Fribourg und weiterer Gemeinden. Auch die intensive Landwirtschaft im Seeland wirkt sich auf das zulaufende Wasser aus. Die Folge: Der Bielersee hat eine stark schwankende Rohwasserqualität und ist mit Spurenstoffen belastet. Dieses Problem dürfte sich wegen der Umverteilung der saisonalen Niederschläge durch die Klimaerwärmung noch verschärfen.

Daher hat sich der ESB beim neuen SWW für eine Verfahrenstechnik entschieden, die robuster gegenüber einer schlechteren Rohwasserqualität ist und für 70'000 Einwohnende statt wie heute für 64'000 ausgelegt ist. So schafft das Swisspower-Stadtwerk Investitionssicherheit für die nächsten 50 Jahre. Gleichzeitig wird die Anlage energieeffizient und mit minimalem Einsatz von Chemikalien und anderen Hilfsstoffen funktionieren.

Vier Aufbereitungsstrassen

Das neue SWW arbeitet mit modernster Technik und umfasst vier redundante, baulich getrennte Aufbereitungsstrassen. Sollte eine davon ausfallen, liefern die anderen drei immer noch genügend Trinkwasser für den durchschnittlichen antizipierten Bedarf in 50 Jahren.

Zu den Herausforderungen für die Bauarbeiten, die bis 2025 dauern, zählen die engen Platzverhältnisse: «Das Projekt ist wie eine Operation am offenen Herzen», sagt Hanna Schiff, Fachspezialistin Projektentwicklung SWW. «Während die bisherige Anlage weiterläuft, entstehen in einem Neubau daneben die ersten zwei Aufbereitungsstrassen. Sobald diese in Betrieb sind, beginnt der Rückbau des alten SWW. An seinem Standort entstehen dann die zwei weiteren Strassen.»

Im neuen SWW wird das Seewasser folgende Aufbereitungsstufen durchlaufen:

  • Vorfiltration als Schutz der anschliessenden Membranstufe
  • Ultrafiltration mittels Membrananlage
  • Filtration eines Teilstroms von 50 Prozent über eine Umkehrosmoseanlage zur Reduktion von polaren Stoffen wie Röntgenkontrastmittel und Spurenstoffen
  • pH-Anpassung durch Sodadosierung
  • Ozonierung zur Beseitigung von unerwünschten gelösten Stoffen und zur Desinfektion
  • Wenn situativ nötig: Advanced Oxidation mittels Zugabe von Wasserstoffperoxid zur Ozonierung
  • Aktivkohle zur weiteren Entfernung von Spurenstoffen und zur Reduktion von organischem Kohlenstoff
  • Enddesinfektion durch UV-Licht

Wasser von Spurenstoffen entlasten

Für das neue SWW hat sich der ESB zum Ziel gesetzt, die Belastung des Trinkwassers mit Spurenstoffen verglichen mit der bisherigen Anlage um nochmals mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Allerdings zeigte sich laut Hanna Schiff, dass die gängige Aktivkohlefiltration allein dafür nicht ausreicht: «Die Reinigungsleistung bezüglich polarer Spurenstoffe wie Röntgenkontrastmittel, aber auch der Metaboliten von Chlorothalonil würde dabei so rasch abnehmen, dass die Aktivkohle häufig gewechselt werden müsste. Das kam für uns aus finanziellen und ökologischen Gesichtspunkten nicht in Frage.»

Deshalb hat sich der ESB entschieden, einen Teil des Wassers zusätzlich in einer Niederdruck-Umkehrosmoseanlage zu behandeln. Dabei handelt es sich um eine Membran, die lediglich Wassermoleküle durchdringen können. Polare Stoffe wie etwa Chlorothalonil-Abbauprodukte, aber auch im Wasser gelöste Ionen wie Calcium oder Magnesium werden praktisch vollständig entfernt. Dadurch weist das Wasser eine sehr geringe Härte auf.

Verzicht auf chemischen Zusatz

Normalerweise kommt bei der Umkehrosmose der chemische Zusatz Antiscalant zum Einsatz. Diese meist aus Phosphorverbindungen bestehenden Mittel verhindern die Ablagerung von im Wasser gelösten Ionen auf der Membran. Weil der ESB beim neuen SWW aber den Einsatz von Chemikalien reduzieren will, hat er in einer zweijährigen Pilotphase ein Verfahren ohne Antiscalant getestet – mit Erfolg. Die Ausbeute an Trinkwasser fällt zwar geringer aus. Doch das stellt bei einem SWW kein Problem dar, weil Seewasser in ausreichender Menge zur Verfügung steht.

Nach aktuellem Kenntnisstand ist das neue SWW des ESB die erste Anlage weltweit, welche die Umkehrosmose zur Aufbereitung von Oberflächenwasser ohne Antiscalant betreibt. «Wir wissen nur von einer Anlage in Finnland, die das Verfahren einsetzt, aber zur Aufbereitung von Grundwasser», so Hanna Schiff.

Innovative Energierückgewinnung

Durch den Verzicht auf Antibelagmittel reduziert sich die Ausbeute der Umkehrosmosestufe. Es muss also mehr Wasser verworfen werden. Um diesen Effekt zumindest teilweise auszugleichen, nutzt der ESB den Druck des verworfenen Wassers. Über eine hydraulische Energierückgewinnungsanlage kann der Druck fast vollständig auf das Einspeisewasser der Anlage übertragen werden, was den Stromverbrauch der Hochdruckpumpe senkt. Das Programm ProKilowatt des Bundes unterstützt diese innovative Energierückgewinnung mit einem Förderbeitrag.

Durch die energieintensive Aufbereitung über die Umkehrosmosestufe wird der Energieverbrauch des neuen SWW gegenüber heute zwar steigen. Doch die Demineralisierung des Teilstroms von 50 Prozent des Wassers vermindert die Wasserhärte des Trinkwassers von etwa 18 °fH auf rund 9 °fH. Dadurch reduziert sich der Verschleiss von Haushaltsgeräten und die Konsumierenden brauchen weniger Reinigungsmittel einzusetzen. Dieser Effekt überkompensiert den Mehrverbrauch an Energie im Wasseraufbereitungsprozess.