Netzbelastung durch Solaranlagen: «Die Einspeiseleistung zu reduzieren, ist ein absolutes Muss»

Dieser Trend beschäftigt jeden Verteilnetzbetreiber: Die Photovoltaik-Einspeiseleistung wächst rasch. In Trafokreisen mit vielen Solaranlagen drohen Engpässe. Wie lassen sich diese am günstigsten vermeiden? Und welche neuen Möglichkeiten dafür bietet das Stromversorgungsgesetz? Die Einschätzung von Lars Huber, Leiter Systemtechnik der SWL Energie AG.

«Solarboom bringt Stromnetze an den Anschlag», lautete diesen Sommer der Titel einer Meldung von SRF. Als wie gravierend beurteilen Sie das Problem der Netzbelastung durch Solaranlagen?

Lars Huber: Alarmismus ist meiner Meinung nach nicht angebracht. Denn es gibt verschiedene technische Möglichkeiten zur Entlastung des Stromnetzes, die wir noch kaum ausschöpfen. Viele Verteilnetzbetreiber erkennen erst allmählich, wie gross dieses Potenzial ist.

An welche technischen Möglichkeiten denken Sie?

Vor allem an jene zwei Massnahmen, die am wenigsten kosten und die am meisten bringen: die intelligente Limitierung der Einspeiseleistung von Solaranlagen und die Abstimmung von Produktion und Last im Stromnetz. Bei vielen elektrischen Verbrauchern ist der Betrieb nicht zeitkritisch und lässt sich auf einen netzdienlichen Zeitpunkt legen. Ein gutes Beispiel sind die Elektroboiler: Früher wurden sie mit voller Leistung und meist nachts betrieben, bis das Wasser nach wenigen Stunden aufgeheizt war. Heute sollten wir sie tagsüber, mit reduzierter Leistung und dafür länger laufen lassen. Die benötigte Energiemenge ändert sich dadurch nicht, doch das Stromnetz wird deutlich entlastet.

Zur Person

Lars Huber ist seit 2024 Leiter Systemtechnik des Lenzburger Energieunternehmens SWL Energie AG. Zuvor war er zweieinhalb Jahre bei Helion und acht Jahre beim Smart-Meter-Lieferanten Semax tätig. Im Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen leitet er derzeit die Arbeitsgruppe «Spannungshaltung im Niederspannungsnetz» im Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen.

Erleichtert es das neue Stromversorgungsgesetz, solche Massnahmen umzusetzen?

Ja. Es verbessert die Rahmenbedingungen für uns Verteilnetzbetreiber massiv. Unter Rahmenbedingungen verstehe ich zwei Punkte: erstens Leitplanken, die wir den Prosumer:innen vorgeben, und zweitens Anreize für ein netzdienliches Einspeisen von Solarstrom. Wichtig dabei: Das setzt voraus, dass die Verordnungen zum Stromversorgungsgesetz mindestens mit den Möglichkeiten verabschiedet werden, wie sie die Vernehmlassungsvorlage vorgesehen hat.

Beginnen wir bei den Leitplanken: Welche Vorgaben können die Verteilnetzbetreiber den Besitzer:innen von Solaranlagen neu machen?

Wir erhalten garantierte Nutzungsrechte von Flexibilitäten wie Solaranlagen, um deren Einspeisung in das öffentliche Netz abzuregeln. Der Umfang dieser Garantie ist auf einen Höchstanteil von drei Prozent der jährlich produzierten Energie beschränkt. Zudem muss die Nutzung von Flexibilität netzdienlich sein: Der Verteilnetzbetreiber darf die Flexibilität ausschliesslich in Anspruch nehmen, um angespannte lokale Netzsituationen zu entlasten und einen künftigen wirtschaftlich ineffizienten Netzausbau zu vermeiden, zu begrenzen oder aufzuschieben.

Wie beurteilen Sie diese Möglichkeit?

Für mich ist sie ein absolutes Muss, wenn wir den Umbau des Energiesystems mit möglichst geringen Kosten schaffen wollen. Denn bei Solaranlagen stehen die Kosten für den Abtransport der vollen Leistung in keinem Verhältnis zur eingespeisten Mehrmenge. Oder einfach gesagt: Lieber auf ein Prozent eingespeiste Energie verzichten und dafür 30 Prozent Netzkapazität einsparen.

Wie setzen Sie bei der SWL Energie AG diese neue Leitplanke um?

Wir planen, die maximale Einspeiseleistung von Solaranlagen ab Inkrafttreten der entsprechenden Verordnungen auf höchstens 70 Prozent der installierten PV-Leistung festzulegen. Wahrscheinlich würden wir sogar mit einer Reduktion auf 65 Prozent die Vorgabe von drei Prozent Minderertrag einhalten. Wenn mehr Daten aus der Praxis vorliegen, werden wir den Wert also allenfalls später überprüfen.

Was heisst die Reduktion der Einspeiseleistung für die Dimensionierung von Solaranlagen?

Das ist ein wichtiger Punkt. Auf keinen Fall sollte man auf Solarmodule verzichten und die maximale Produktionsleistung der Anlage absichtlich begrenzen. Sowohl für die Besitzer:innen der Solaranlagen als auch für das ganze Stromsystem ist es von Vorteil, wenn immer die gesamte verfügbare Dachfläche ausgenutzt wird. Es geht bei dieser neuen Leitplanke also wirklich nur um die Reduktion der Einspeiseleistung.

Welche Produktionsreduktion bedeutet es, die Solaranlage mit reduzierter Leistung ans Stromnetz anzuschliessen?

Unsere Analyse zeigt, dass die Einbusse äusserst gering ausfällt. Ein Beispiel: Wenn man seine Solaranlage auf 70 Prozent Einspeisung begrenzt, bedeutet das aufs ganze Jahr gesehen weniger als ein Prozent Produktionsreduktion – und dies erst noch zu Zeiten von Stromüberfluss im Netz. Mit einem Batteriespeicher oder dem Eigenverbrauch durch eine Ladestation oder eine Wärmepumpe lässt sich eine Einbusse sogar ganz vermeiden.

Gilt die neue Vorgabe Ihres Unternehmens auch für bestehende Solaranlagen?

Die künftige Gesetzeslage gemäss dem Vernehmlassungstext sieht so aus: Wir Verteilnetzbetreiber können die garantierte Flexibilität auch bei bestehenden Solaranlagen einfordern. Dabei stellt sich noch die Frage: Wer trägt die Kosten für die Umstellung? Die günstigste Variante besteht darin, den Wechselrichter auf 70 Prozent zu begrenzen. Doch damit wird die Energieproduktion «abgeschnitten» und der Eigenverbrauch ausser Acht gelassen.

Und wie setzen Sie die neue Vorgabe bei den bestehenden Solaranlagen in Lenzburg um?

Wir haben aktuell kein Interesse daran, die Einspeiselimitierung vorsorglich zu verfügen. Stattdessen können bestehende Solaranlagen so lange mit der heutigen Leistung einspeisen, bis wir im jeweiligen Quartier ein Problem haben. Dann werden wir die Reduktion bei allen Anlagen im betroffenen Gebiet einfordern.

Das neue Stromversorgungsgesetz ermöglicht neben neuen Leitplanken auch mehr Anreize für ein netzdienliches Verhalten. Welche sind aus Ihrer Sicht besonders wirkungsvoll?

Einen solchen Anreiz wollen wir in Lenzburg einführen: Wer die Einspeiseleistung freiwillig auf 60 Prozent oder sogar 50 Prozent reduziert, erhält von uns eine Zusatzvergütung pro Kilowattstunde eingespeisten Solarstrom. Denn durch diese Reduktion tragen die Betreiber:innen der Solaranlagen dazu bei, dass wir geringere Kosten für den Netzausbau haben. An den vermiedenen Kosten wollen wir sie beteiligen. Sehr positiv beurteile ich zudem die Möglichkeit, dynamische Netztarife einzuführen. Sie erleichtern die Abstimmung von Produktion und Last im Stromnetz, um Leistungsspitzen zu reduzieren. Wir brauchen aber noch Zeit für ihre flächendeckende Umsetzung. Und nicht zuletzt schafft der Mantelerlass auch Anreize für uns Netzbetreiber.

Welche?

Wir erhalten den Anreiz, Massnahmen umzusetzen, die einen Netzausbau verhindern oder hinauszögern. Denn sie lassen sich nun leichter an die Netzkosten anrechnen.

Was ändert bei der Anrechenbarkeit?

Bisher konnten wir die Kosten für solche Massnahmen nur anrechnen, wenn sie bei einem bereits bestehenden Engpass im Netz umgesetzt wurden. Neu gilt die Anrechenbarkeit schon für vorsorgliche Massnahmen, die einen solchen Engpass verhindern sollen. Bedingung ist immer, dass die Massnahmen günstiger sind als ein Netzausbau.

Lassen Sie uns zum Schluss über die dynamischen Netztarife sprechen. Wie sollten diese umgesetzt werden?

Wichtig dabei: Ein dynamischer Netztarif darf nicht mit einem monatlichen Leistungstarif verwechselt werden. Denn ein solcher ist kaum netzdienlich. Ein Beispiel: Ein kleines Unternehmen betreibt einmal wöchentlich mehrere leistungsstarke Anlagen. Es tut dies nachts, wenn überhaupt kein Engpass im Netz besteht. Bei einem monatlichen Leistungstarif wird es trotzdem mit hohen Kosten für die Maximalleistung bestraft. Somit versucht dieses Unternehmen höchstens, seine Spitzenlast ein wenig zu reduzieren. Ein dynamischer Netztarif hingegen betrachtet am besten jede Viertelstunde. Nun wird es für das Unternehmen interessant, seine Lasten bewusst netzdienlich zu verschieben, um die Netzkosten massgeblich zu senken.

Also ändert ein dynamischer Netztarif viertelstündlich?

Für den Anfang muss er nicht so dynamisch sein. Schon ein Tarif, der am Tag nur wenige Male ändert, schafft die richtigen Anreize. Für den Verteilnetzbetreiber ist diese Lösung aber einfacher zu handhaben, weil er den Tarif im Voraus abbilden kann. Trotzdem wird jede Viertelstunde separat gerechnet, damit die Lastverschiebungen auch finanziell ihre Wirkung entfalten.