Ronny Kaufmann zum verabschiedeten Mantelerlass: «Wir haben es pressant»

Nach jahrelangen, intensiven Verhandlungen hat das Parlament in der Herbstsession den sogenannten Mantelerlass verabschiedet. Damit ist der Weg frei, die sichere Versorgung mit erneuerbarem Strom schneller voranzubringen. Wie beurteilt Swisspower den ausgehandelten Kompromiss? Eine Einschätzung von CEO Ronny Kaufmann.

Bundesrat Albert Rösti hat die Beschlüsse zum Mantelerlass «eine Riesenleistung des Parlaments» genannt. Sind Sie auch so euphorisch?

Ronny Kaufmann: Ich bin ganz zufrieden – besonders für die progressiven Kräfte, zu denen auch Swisspower zählt, ist der Mantelerlass ein grosser gesetzgeberischer Schritt. Er ist aber auch ein typisch schweizerischer Kompromiss. Endlich haben wir einen Rechtsrahmen, innerhalb dem wir beim Zubau erneuerbarer Stromproduktion und Stromeffizienzsteigerung vorwärtsmachen können. Das müssen wir auch, denn vor dem Hintergrund der globalen Erderwärmung haben auch wir in der Schweiz immer noch ein krasses Vollzugsdefizit. Wir haben es pressant! Ich hoffe deshalb sehr, dass wir nun nicht schon wieder in ein Referendum reinlaufen und noch mehr Zeit verlieren.

Ganz zufrieden? Was passt Ihnen denn nicht?

Wenn sich der Mantelerlass ohne Referendum und dank schlanken pragmatischen Verordnungen zeitnah in Kraft setzen lässt, freue ich mich wirklich! Meine Kritik gilt der Energiestrategie der Schweiz als solche. Die aktuelle Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden ist den Herausforderungen von Morgen nicht mehr gewachsen. Als Putin am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, hatte auch die politische Schweiz erkannt, dass eine sichere Versorgung mit Strom und Gas nicht einfach selbstverständlich bleibt. Ich kann es deshalb nur immer wieder sagen: Wer das Energiesystem erfolgreich transformieren will, wer es sicherer und erneuerbar machen will, der muss das Setup des Energiesektors selbst mit verändern. Die aktuelle Governance bürdet den Städten und Kantonen zu viel auf. Das Jahrhundertprojekt Netto-Null braucht vor dem Hintergrund der geopolitischen Verschiebungen deutlich mehr Engagement auf Bundesebene. Gesetze erlassen und etwas Gelder verteilen reicht einfach nicht mehr. Der NEAT-Basistunnel wurde ja auch nicht von Altdorf und Uri allein gebaut!

Sicher. Der Bund hat die NEAT gebaut. Aber was heisst das nun für die Stadtwerke?

Der Mantelerlass gibt uns vor allem eine höhere Investitionssicherheit für den Ausbau der inländischen, erneuerbaren Stromproduktion. Vor einem Inkrafttreten des Mantelerlasses ist es riskanter, im grossen Stil zu investieren. Ich hoffe, dass die Stadtwerke ihr Ausbautempo dank der Rückendeckung ihrer Eigentümer rasch erhöhen. Das wird aber nur gelingen, wenn die Städte von Genf bis Chur und von Lugano bis Basel ihre Bevölkerung von Anfang an einbeziehen und ihnen den Nutzen ihrer Projekte klar aufzeigen.

«Ich plädiere vor dem Hintergrund der geopolitischen Verschiebungen und deren Auswirkungen auf den europäischen Energiesektor dafür, gründlicher zu denken.»


Der Mantelerlass verpflichtet die Energielieferanten dazu, neben ihrem Versorgungauftrag auch auf dem Gebiet der Energieeffizienz tätig zu werden. Freut Sie das?

Es ist ein gutes Beispiel eines neuen Verständnisses der sektoriellen Governance. Denn eigentlich hätten das die Gemeinden und Kantone selbst ihren Unternehmen ins Aufgabenheft schreiben können. So wie das bei den Swisspower-Stadtwerken schon seit vielen Jahren der Fall ist. Die Effizienzprogramme der Swisspower Allianz wie zum Beispiel dasjenige von SIG, vom Stadtwerk Winterthur oder von Energie Service Biel/Bienne sind hier sicher richtungsweisend. Dass der Bundesrat mit dem Mantelerlass die Kompetenz erhält, solche bestehenden Programme an die Effizienzzielerreichung anzurechnen, ist erfreulich.


Mit dem neuen Gesetz wird die bisherige Durchschnittspreismethode abgeschafft. Ein richtiger Schritt?

Absolut. Dadurch wird eine Marktverzerrung zulasten der gebundenen Kundinnen und Kunden beseitigt. Neu müssen die Energieversorger erstens mindestens 50 Prozent ihrer Eigenproduktion zu Gestehungskosten in der Grundversorgung absetzen und zweitens ihre gebundene Kundschaft zu einem gewissen Anteil mit erneuerbarer Energie aus dem Inland beliefern. Dieser Anteil wird vom Bundesrat festgelegt und schrittweise erhöht. Das stärkt die langfristige Nachfrage nach inländischem erneuerbarem Strom und fördert Investitionen. Wir begrüssen, dass Bundesrat Rösti auf Verordnungsebene dafür schauen will, die Energieversorger mit viel Eigenproduktion durch die neuen Vorgaben nicht zu benachteiligen.


Eine weitere wichtige Neuerung des Mantelerlasses sind die lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG). Sie gehen nochmals weiter als die bisherigen Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) – zu weit aus Sicht von Swisspower?

Es ist halt etwas die Katze im Sack! Grundsätzlich ist diese Neuerung sicher zu begrüssen. Sie bietet Stromkonsumentinnen und -konsumenten, Produzenten von erneuerbarem Strom und Speicherbetreibern ganz neue Möglichkeiten: Sie können sich zusammenschliessen, sich gegenseitig mit Strom versorgen und dabei das lokale Verteilnetz nutzen. In der Praxis ist aber noch vieles nicht klar und muss jetzt vermutlich in etlichen kleingedruckten Verordnungsseiten ausgedeutscht werden. Was ist der Perimenter einer LEG? Der Trafo? Ein Quartier? Eine ganz Stadt wie Frauenfeld? Oder noch grösser? Wird die Netztopografie dabei mitberücksichtigt? Zudem ritzt das neue Modell der LEG das Solidaritätsprinzip beim Verteilnetz noch stärker als die ZEV. Künftig müssen noch weniger Stromkonsumentinnen und -konsumenten die gesamten Kosten fürs Netz tragen, die im Hinblick auf Netzausbauten infolge erhöhtem Winterstrombedar und das Smart Grid noch steigen werden.


Welche weiteren wichtigen Gesetze stehen nach dem Ja zum Mantelerlass als Nächstes auf der energiepolitischen Schiene an?

Dazu zählt erstens die Änderung des Energiegesetzes. Sie soll die zeitlich begrenzte Beschleunigung der Bewilligungsverfahren für erneuerbare Produktionsanlagen längerfristig verankern. Zweitens bietet die Revision des Stromversorgungsgesetzes die Chance, Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen endlich als prioritäre Anlagen für die Bildung einer Winterreserve anzuerkennen. Viel erhoffen wir uns auch vom CO2-Gesetz für die Periode 2025 bis 2030. Zudem fehlt weiterhin eine neue gesetzliche Grundlage für den Gasmarkt. Aber noch einmal. Ich plädiere vor dem Hintergrund der geopolitischen Verschiebungen und deren Auswirkungen auf den europäischen Energiesektor dafür, gründlicher zu denken. Wir werden bald bereits mit einem Stromabkommen mit der EU konfrontiert sein, das sich nur ratifizieren lassen wird, wenn wir den Strommarkt vollständig liberalisieren. Es ist also wieder einmal höchste Zeit, sich darauf vorzubereiten und sich zu fragen, ob der Energiesektor der Schweiz in seiner heutigen Struktur und Governance und konfrontiert mit einem sich weiter zuspitzenden, akuten Fachkräftemangel für einen liberalisierten Strommarkt in Europa bereit sein wird.