Zurück ans Steuerrad

Unser Leiter Public Affairs verlässt Swisspower Ende Oktober. Bevor er geht, blickt er voraus auf die kommenden Herausforderungen in der Energie- und Klimapolitik. Und er ermutigt die Stadtwerke, die Dinge vermehrt wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Von Jan Flückiger, Leiter Public Affairs bei Swisspower

Erinnern Sie sich an den übervollen Bundesplatz in Bern, als gegen hunderttausend vor allem jüngere Menschen gegen den Klimawandel demonstrierten? Das war vor ziemlich genau einem Jahr. Ein paar Monate später, wir schreiben den 17. März 2020, ist der Bundesplatz leergefegt. Menschenleer sind auch die Strasse und Plätze in anderen Schweizer Städten. Es ist der Tag 1 des Lockdowns. Ein neuer Begriff dominiert die Öffentlichkeit in den nächsten Wochen und Monaten.

Inzwischen gibt es wieder vereinzelte Menschenansammlungen vor dem Bundeshaus. Sie rufen aber nicht zum Kampf gegen den Klimawandel auf, sondern gegen den Rassismus oder die vermeintlich übertriebenen Massnahmen gegen das neuartige Virus.

Referendum über das CO2-Gesetz als Lackmustest

Was zeigt uns dieses Beispiel? Mediale, gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit ist Konjunkturen unterworfen. Das Thema, das im Vorfeld der letzten eidgenössischen Wahlen dominiert hatte, ist praktisch von der Bildfläche verschwunden. Das Parlament sähe anders aus, würde heute gewählt. In Krisenzeiten tendieren die Leute zu Bekanntem, nicht zu Neuem.

Das heisst nicht, dass der Klimawandel nicht weiterhin bedeutsam sein wird im politischen Alltag. Im Gegenteil, das Thema ist inzwischen auch im bürgerlichen Mainstream angekommen und wird ernst genommen. Aber es heisst auch, dass es, neben Pandemie, Arbeitslosigkeit, Zuwanderung und Altersvorsorge – um nur einige zu nennen – ein Thema unter vielen sein wird.

Der Lackmus-Test für die Akzeptanz einer wirksamen Klimapolitik wird das absehbare Referendum gegen das CO2-Gesetz sein. Hier wird sich zeigen, ob die Stimmbevölkerung auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten den Umweltschutz höher gewichtet als das eigene Portemonnaie.

Energie- und Klimapolitik ist getrieben von aussen

Für die Stadtwerke ist das ein guter Moment, inne zu halten und sich zu fragen, wo sie ihr Geld und ihre Energie (im übertragenen Sinn) in den nächsten Monaten und Jahren investieren wollen. Die aktuellen klima- und energiepolitischen Vorlagen sind zu einem Grossteil von aussen getrieben: Das CO2-Gesetz vom globalen Klimawandel, die Energiestrategie vom Reaktorunglück in Fukushima, das Energiegesetz von den Verwerfungen am europäischen Strommarkt, die Strommarktöffnung (StromVG) ist Voraussetzung für das gewünschte Stromabkommen mit der EU, und die Gasmarktöffnung (GasVG) ist unter anderem eine Folge von Entscheiden der Wettbewerbskommission.

Eine der grössten Herausforderungen der kommenden Jahre für die Stadtwerke ist die Transformation der Wärmeversorgung. Die Gasnetze sind politisch zunehmend unter Druck. Das CO2-Gesetz wird den Einbau von neuen Gasheizungen praktisch verunmöglichen. Es sei denn, der Anteil erneuerbarer Gase nimmt in den nächsten Jahren massiv zu.

Mit Mut und Risikobereitschaft können Stadtwerke die Zukunft aktiv mitgestalten

Diese grosse Herausforderung kann für die Stadtwerke aber auch eine Chance sein, das Steuer wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sie müssen jetzt eine Vision entwickeln für die urbane Wärmeversorgung der Zukunft. Dabei können Areallösungen mit grossen WKK-Anlagen genauso eine Rolle spielen wie lokale Nah- und Fernwärmeverbünde oder die dezentrale Produktion synthetischer Gase.

Ob Wärmeversorgung, urbane Mobilität, dezentrale Strom- und Wärmeproduktion, intelligente Verbrauchssteuerung, Winterstromlücke, oder lokale Netze mit dynamischen Preisen: Für die Stadtwerke sind die anstehenden Herausforderungen eine Chance, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Vermehrt zu agieren, statt zu reagieren. Für diese Aufgabe wünsche ich den Stadtwerken viel Erfolg, viel Mut und eine gesunde Portion Risikobereitschaft.