Sie präsidieren den Verwaltungsrat der Swisspower AG schon seit 15 Jahren. Wie schauen Sie auf diese Zeit zurück?
Hans-Kaspar Scherrer: Es war eine sehr spannende Zeit, in der wir einiges erreicht haben. Besonders wichtig waren die Unterzeichnung des Masterplans 2050 im Jahr 2012 sowie der erfolgreiche Aufbau der Schwestergesellschaften Swisspower Renewables und Green Gas. Neben solchen Erfolgen hatten wir auch Rückschläge zu verkraften: Mit Swisspower Energy waren wir im Energie- und Bündelkundengeschäft sehr erfolgreich unterwegs, mussten den Geschäftszweig aber aufgrund fehlender Kreditlinien verkaufen. Was mich bei Swisspower immer wieder motiviert, auch für die Aufgabe des Präsidiums, ist der Austausch mit den CEOs und weiteren Vertreter:innen von Stadtwerken. Wir lernen voneinander und konkurrenzieren in gesundem Masse auch ein wenig miteinander. Auf den vielen Gebieten, die für uns herausfordernd sind und immer herausfordernder werden, helfen wir uns gegenseitig. Und das Team von Swisspower unterstützt uns Stadtwerke auf unserem Weg in die nachhaltige Energiezukunft. Ich freue mich darauf, am Jubiläumsanlass von Swisspower im Juni viele bekannte Gesichter wiederzusehen, gemeinsam zurückzublicken und auch einen Ausblick zu wagen.
Wie aktuell ist die Vision von Swisspower einer vollständig erneuerbaren Energiezukunft noch?
Im Wesentlichen stimmt die Vision auch heute noch. Mittlerweile ist sie mit dem Netto-Null-Ziel sogar weltweit übernommen worden. Da waren wir der Zeit also voraus. Nun geht es aber darum, die Vision umzusetzen. Das ist sehr anspruchsvoll und erfordert viel Kapital, besonders für die Wärmewende. Mit Swisspower Innovation haben wir ein gutes Gefäss, um Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Ich denke etwa an intelligente Systeme, mit denen sich die stochastische Energieproduktion von Solaranlagen und der Energieverbrauch besser aufeinander abstimmen lassen.
Die erneuerbaren Energien haben allerdings mehr Gegenwind als noch vor ein paar Jahren. Seit der eingereichten Blackout-Initiative spricht die Schweiz sogar wieder über neue Kernkraftwerke …
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir bisher mit den erneuerbaren Energien noch zu wenig in Fahrt gekommen sind. Trotz gut gemeinter nationaler Initiativen wie Solarexpress und Windexpress harzt es durch Einsprachen und Widerstände bei der lokalen Umsetzung. Doch bei der aktuellen Debatte zur Kernenergie gebe ich zu bedenken: Künftig wird die Schweiz im Sommer beim Strom Überschüsse erzielen. Dann ist für die reine Winterstromproduktion eine Technologie wie die Kernkraft, die auf einen ganzjährigen Betrieb ausgelegt ist, wenig sinnvoll. Die Gestehungskosten neuer Kernkraftwerke wären viel zu hoch, wenn sie nur während 4000 oder 5000 Stunden im Jahr betrieben würden. Die bessere Lösung für den Winterstrom ist die hocheffiziente Wärme-Kraft-Kopplung, betrieben mit erneuerbarem Gas, Wasserstoff oder Methanol.
Ende 2024 haben die Schweiz und die EU ihre Verhandlungen abgeschlossen. Zum Verhandlungspaket gehört auch ein Stromabkommen. Wie bewerten Sie das Verhandlungsergebnis?
Da muss man die verschiedenen Ebenen anschauen. Aus Sicht des Übertragungsnetzes und für eine stabile nationale Stromversorgung sagt Swissgrid zurecht: Es ist unabdingbar, dass die Schweiz wieder voll in das Energiesystem der EU eingebunden wird und in allen Gremien mitwirken kann. Allerdings stellt sich die Frage: Könnten die umliegenden Staaten bei einem Stromabkommen eine allfällige Winterstromlücke der Schweiz tatsächlich füllen – zumal die meisten von ihnen selbst «short» sind bei der Energie? Müssten wir als Schweiz nicht selbst mehr machen auf Ebene der Produktion, um zum Beispiel den ungeplanten Ausfall eines Kernkraftwerks mit eigenen Mitteln abdecken zu können? Und dann gibt es natürlich noch die Ebene des Markts und der Kund*innen. Denn für den Abschluss eines Stromabkommens verlangt die EU, dass alle Schweizer Endverbraucher:innen ihren Stromlieferanten frei wählen können.
Wie steht Swisspower zu dieser vollständigen Marktöffnung?
Da gehen die Meinungen der Stadtwerke auseinander. Einige finden, dass es höchste Zeit für die vollständige Strommarktliberalisierung ist. Andere sind da skeptisch. Ich sehe diesen Schritt weniger kritisch. Denn die heutige Marktordnung mit Teilmarktöffnung und der Durchschnittspreismethode, die nun endlich wegfällt, ist nicht besser als eine vollständige Marktliberalisierung. Allerdings gilt es für ein künftiges Energiesystem mit einer massiven dezentralen Produktion und gleichzeitig einem geöffneten Markt noch einige Fragen zu klären. Etwa zum Solarstrom, den wir in unseren Netzgebieten abnehmen und vergüten müssen: Wenn ich als Stadtwerk viele Kund:innen verliere, weil sich in liberalisierten Märkten immer ein günstigerer Anbieter findet – wem kann ich diesen Solarstrom dann noch verkaufen? Oder wer ist dann verantwortlich für den Ausbau der erneuerbaren Produktion? Wird nur noch zugebaut, wenn massiv gefördert oder sogar überfördert wird? Auf der Kundenseite vollständige Marktöffnung und auf der Produktionsseite Planwirtschaft – das passt für mich nicht zusammen.
Das Parlament behandelt zurzeit ein neues Bundesgesetz über die Aufsicht und Transparenz (BATE) in den Energiegrosshandelsmärkten. Was bedeutet es für die Stadtwerke?
Derzeit hat es für die allermeisten Stadtwerke keine Bedeutung, weil wir die Energie nicht direkt im Ausland beschaffen, sondern «over the Counter» – also über Lieferverträge mit Schweizer Anbietern. Solange die Schweiz keine eigenen Handelsplattformen für Strom und Gas betreibt, ist diese neue Regulierung meiner Meinung nach nur bedingt sinnvoll. Denn es handelt sich um europäische Vorschriften, welche die im Ausland handelnden Schweizer Unternehmen ohnehin schon einhalten müssen.
Im Gasbereich steht mit dem Solidaritätsabkommen ein weiteres wichtiges Geschäft auf der Agenda des Parlaments. Der Ständerat hat das Abkommen bereits ohne Opposition unterstützt. Ist es auch für Swisspower eine klare Sache ohne Haken?
Ja. In der Schweiz leiten wir mit der Transitgasleitung Gas durch unser Land. Da macht es Sinn, mit Deutschland und Italien entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Mit dem Abkommen haben wir eine vernünftige und – wie der Name sagt – solidarische Lösung gefunden. Alle drei Länder müssen in einer Mangellage anteilmässig gleich viel Gas einsparen. Es ist nur fair, das so zu lösen.
Werfen Sie zum Schluss einen Blick nach vorn: Wo sehen Sie Swisspower in 15 Jahren – braucht es dann immer noch eine solche Stadtwerke-Allianz?
Ja. Denn uns Stadtwerke beschäftigen Themen, die immer mehr Zusammenarbeit erfordern: etwa Marktliberalisierung, Digitalisierung, Effizienzsteigerung und Fachkräftemangel. Wir werden lernen müssen, mit weniger Mitarbeitenden mindestens gleich viele Aufgaben zu erfüllen. Entsprechend müssen wir mehr Prozesse digitalisieren. Da stellt sich die Frage, ob jedes Stadtwerk für alles ein eigenes System benötigt – oder ob wir nicht besser unter dem Dach von Swisspower gemeinsame Branchenlösungen entwickeln und für viele Stadtwerke ausrollen. Kooperationsgefässe sehe ich auch bei neuen Themen wie dem Treibhausgasprotokoll, den negativen Emissionen oder dem grünen Wasserstoff. Das zeigt: Swisspower braucht es auch in 15 Jahren noch. Ich freue mich, wenn sich in den nächsten Jahren noch weitere Querverbundunternehmen oder andere Werke unserer Allianz anschliessen.