Energiemangellage: Sieben Lehren für den nächsten Winter

Im Moment sind alle entspannt wie lange nicht mehr: Der Winter war mild, der Frühling kommt, die Preise für Strom und Gas sinken. Ist die Energiekrise also vorbei? Keinesfalls! Diese sieben Lehren aus der Energiemangellage müssen wir jetzt ziehen – für den nächsten (und den übernächsten) Winter.

1. Nach der Krise ist vor der Krise

Wir Menschen neigen dazu, den Zustand der Gegenwart linear in die Zukunft zu verlängern. Deshalb wollen wir nun, da sich die Lage an den Energiemärkten entspannt, nichts mehr von Krise wissen. Dabei hatten wir in diesem Winter einfach Glück – auch dank milden Temperaturen. Doch der nächste Winter kommt bestimmt. Und wenn der so richtig kalt wird, geht er mit einer erneuten Energiemangellage einher. Besser also, wenn wir uns jetzt darauf vorbereiten.


2. Übung macht den Meister

Im Gegensatz zu Corona hat uns die Energiemangellage nicht unerwartet getroffen. Wir trainieren nun schon ein knappes Jahr die Krise – und sind trotzdem noch nicht ganz Meister. Deshalb müssen wir die Verlängerung, die wir durch den milden Winter erhalten haben, nochmals nutzen. Und üben, üben, üben: Wie organisieren sich die Krisenstäbe, wenn der Strom ausfällt? Wie informieren wir die Bevölkerung über rollierende Abschaltungen? Und wie stellen wir die Versorgung mit Benzin und Trinkwasser ohne Strom sicher? Die Bevölkerung würde es uns nur schwer verzeihen, wenn wir im nächsten Winter keine Antwort auf diese Fragen hätten.


3. Strom sparen – aber clever!

Hätten wir in diesem Winter wirklich zu wenig Strom gehabt, wäre das Chaos gross gewesen: Die rollierenden Abschaltungen hätten den Quartieren abwechslungsweise für vier Stunden der Strom abgedreht. Die Folge: Handynetze, öffentlicher Verkehr und medizinische Grundversorgung wären zusammengebrochen. Hier brauchen wir für die Zukunft intelligentere Systeme, um im Notfall den Stromverbrauch massiv zu drosseln. Zwei Stichworte: Auktionen für freiwillige Abschaltungen und zentral steuerbare Leistungsbeschränkungen. Jetzt ist die Zeit da, um die Ostral-Massnahmen, welche noch den Geist des Kalten Krieges atmen, durch Lösungen des digitalen Zeitalters zu ersetzen.


4. Wir brauchen eine günstigere und klügere Versicherungspolice

Das Reservekraftwerk in Birr war kurzfristig fast die einzige Option. Die Wasserkraftreserve eine sinnvolle Lösung. Aber beide sind äusserst teure Versicherungen für eine Strommangellage. Die Wasserkraftreserve kostete allein für diesen Winter fast eine halbe Milliarde Franken. Birr etwa gleich viel für vier Jahre. Deshalb müssen wir jetzt eine klügere Versicherung für die Winter ab 2026 bauen. Die Lösung sind dezentrale, effiziente und im Vergleich günstige Anlagen zur Wärme-Kraft-Kopplung. Sie können pro Winter eine TWh Strom und nochmals gleich viel Wärme sicher auf Abruf produzieren.


5. Verantwortung ist nicht teilbar

Wer ist im Energiebereich für die Versorgungssicherheit verantwortlich? Dass diese Frage in der Schweiz unbeantwortet ist, zeigte sich angesichts der drohenden Mangellage besonders schmerzhaft. Und in den komplizierten Organigrammen der Krisenstäbe besonders deutlich. Hier braucht es klare Zuständigkeiten – und zwar über alle Energieträger von Strom über Gas bis zum Diesel. Denn wenn einer von ihnen knapp wird, werden es die anderen auch.


6. Energieeffizienz muss mehr sein als ein Schlagwort

Sie darf in keiner Sonntagsrede eines Energiepolitikers fehlen: Die Energieeffizienz. Denn alle wissen, dass wir noch immer viel zu viel Strom und Gas verschwenden. Nun müssen den schönen Reden endlich Taten folgen. Zwei konkrete Gelegenheiten stehen unmittelbar vor der Tür: Das Parlament kann die Energieeffizienz im Mantelerlass verankern. Und die Stimmbevölkerung kann am 18. Juni Ja sagen zum Gegenvorschlag Gletscherinitiative, der massive Investitionen in effizientere Heizungen und besser isolierte Häuser ermöglicht.


7. Solar, Wasser, Wind: Nöd lugg loh gwünnt

Im letzten halben Jahr machte das Parlament so schnell vorwärts wie seit Jahren nicht mehr. Alpine Photovoltaik-Anlagen, Erhöhung Grimsel-Staumauer, Wind-Express: Überall haben die Politikerinnen und Politiker das Tempo erhöht und Gesetzesmauern eingerissen. Hier dürfen wir nun nicht lockerlassen, wenn wir gewinnen wollen. Dafür müssen wir das Tempo aus diesem Krisenwinter mitnehmen in die nächsten Jahre – mit schnelleren Bewilligungsverfahren und mehr Geld im System. Einfach wird es nicht. Denn der Widerstand vieler Umweltorganisationen ist bereits am Wachsen. Doch auch hier gilt: Nöd lugg loh gwünnt.